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Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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Große Welt spielte. Moritz dachte, daß seine Tante, die 75
    so hieß wie die kleinen französischen Zwiebeln, vielleicht doch eine wildgewordene Kleinstädterin war.
    Nun ruhte Moritz in seiner Wohnung aus und genoß Phil Col-
    lins' samtigen Elendssong. Der Dienst war anstrengend. Aber Mo-
    ritz beklagte sich nicht. Er hatte eine Freundin: Enna, Arzttochter, hübsch und solide. Er wußte wohl, daß es ihn zu Männern hinzog, aber das wollte er nach Kräften ignorieren. Wie es Thomas Mann
    getan hatte. Ja, er würde ein stinknormales bürgerliches Leben führen, keine Randexistenz sein. Er haßte die kämpferische wie die weinerliche Pose, mit der sich schwule Männer oft im Fernsehen
    präsentierten. Er wollte die Karriere in der Welt der Heteros. Hei-raten. Kinder haben. Es war möglich. Er konnte mit Frauen.
    Eisern übte er mit seinem Expander, machte Liegestütze und da-
    nach noch die Isometric-Übung, die er schon als Knabe in Rends-
    burg durchgeführt hatte: Mit aller Kraft stemmte er sich gegen eine Wand und zählte bis fünfzehn. Das machten die russischen Sportler so, hatte er damals in einer Zeitschrift gelesen. Es setzte Muskeln an.
    Heute kam er nicht weit mit seinen Übungen. Ganz plötzlich ver-
    harrte er, um den Plan herauszulassen, der sich im Unterbewußt-
    sein entwickelt hatte. Er kannte den angeblichen Paul Hugendübel, der spurlos aus dem Grandhotel verschwunden war, vor oder nach
    dem Mord. Es war Herr Hornung, Besitzer der tollen Villa etwas
    außerhalb von Rendsburg, der Firmenchef, Stahl- und Kunststoffteile, seit der olle Chef gestorben war.
    Moritz hatte ihn gleich erkannt, als er mit der Traumprinzessin Hand in Hand durch die Hotelhalle spaziert war. Fast hätte er so gegrüßt, wie man Leute grüßt, die man kennt. Aber ihm war klar
    gewesen, daß die Traumprinzessin nicht Frau Hornung war.
    Später merkte er, daß der Herr auf Abwegen sich hier Paul Hu-
    gendübel nannte. Als Moritz den Champagner in der Suite servier-te, hatte sein Herz geklopft, aber Herr Hornung hatte ihn nicht er-76
    kannt. Wie denn auch? Schon auf dem Schulhof kannten nur die
    jüngeren Schüler die der älteren Klassen, nicht umgekehrt. Dieses Gefälle galt natürlich erst recht für Erwachsene: Unten guckt nach oben, nicht umgekehrt.
    Der Sohn eines Feuerwehrmannes kannte den Firmenboß, aber
    der kannte andere Leute. Der sah ihn gar nicht. Seine Tochter ging auf eine andere Schule.
    Er hatte dem Kommissar nichts davon gesagt. Warum nicht? Das
    wußte er selber nicht. Es hatte ihm widerstrebt. Etwas in seinem Gemüt sagte nein dazu. Angst? Nein, Angst hatte er nicht gehabt.
    Herr Hornung machte Eindruck. Das Trinkgeld war sehr anstän-
    dig gewesen. Und der Mann hatte die Aura von Erfolg und Männ-
    lichkeit, die Moritz bewunderte. Er war einer von den Kerlen, die in Werbespots Adler freiließen und tolle Autos fuhren. Die den
    Mann im Manne anmachen sollten.
    Seltsam war, daß Moritz sein Wissen ganz für sich behalten und
    auch Charlotte nichts davon gesagt hatte. Sie hatte schließlich allerhand Macht über ihn, wenn sie ihm Rücken und Nacken massierte,
    ihn streichelte und spielerisch genau so küßte, wie er es mochte.
    Und nun, wie er da schwer atmend stand und aus dem Fenster
    starrte, ohne die anderen Häuser mit anderen Fenstern und Gängen und Menschen wahrzunehmen, gewann er Klarheit. Er würde seine
    Chance nutzen. Anruf genügt, dachte er und wandte sich dem ho-
    hen Spiegel zu, in dem er sich von Kopf bis Fuß betrachten konn-te. Bleikristall in einem wertvollen Rahmen. Spätbarock. Angeblich echt. Frühes achtzehntes Jahrhundert. Der Trödler hatte es ge-schworen. Moritz lächelte sich zu. Er mochte sich so. So lächelten die Putten auf dem Rahmen.
    Etwa um dieselbe Zeit betrachtete sich Richard Hornung im Bade-
    zimmerspiegel. Er war zufrieden: Die Bürste auf der Oberlippe war 77
    nahezu perfekt.
    Errol Flynn ließ grüßen. Rund um das Kinn, streng in Form ge-
    stutzt, mit einem Hauch Grau darin, wirkte der Bart männlich herb, signalisierte jedoch zugleich, daß der Träger ein Erfolgsmensch mit hinreichend extravaganten Neigungen war.
    Den Haarschnitt hatte sein Friseur wunschgemäß verändert, er
    nannte den Schnitt ›Architektenlook‹: stoppelig kurz, die runde Kopfform betonend, mit sehr kurzem Pony und einem Anflug von
    Koteletten, die zum Bart überleiteten.
    Der Haarton war durch eine rötliche Spülung ganz leicht aufge-
    peppt worden. Lucie hatte, nach anfänglichem Zögern,

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