Der Tote im Grandhotel
einge-
speist wurde. Das Netz war worldwide. Jede Strecke, jeder Flughafen war drin. Alle Daten standen zur Verfügung. Bereits registrierte Kunden waren sofort als solche zu erkennen.
War eine gewünschte Maschine bereits ausgebucht, oblag es der
Sklavin im Großraumbüro, dem Kunden eine andere Maschine,
einen anderen Termin, eine veränderte Strecke aufzuschwatzen.
Auch eine teurere VIP-Class kam in Frage. So etwas mußte zu
schaffen sein, wollte man nicht bald weg vom Fenster. Charmant
sein, lieb und flexibel – jedes Gespräch wurde abgehört und zum späteren Abhören mitgeschnitten. Die Pause zwischen zwei Gesprä-
chen durfte nur sehr kurz ausfallen. Das wurde kontrolliert.
Fünfzehn Minuten Frühstückspause, keine Minute länger. Hastig
eingeworfener Lunch. Schluß um fünf Uhr am Nachmittag. Dann
war man wirklich fertig. Brittas unmittelbare Vorgesetzte war schwarz, eine herrische Person, wahrscheinlich aus Angst, selbst abzustürzen, wenn in ihrer Abteilung etwas schieflief.
Weiße und farbige Mädchen arbeiteten hier gemeinsam. Britta ge-
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fiel das. Es war lustiger und nicht spießig. Aber hart war der Job, es bildeten sich ›Hornhaut auf der Seele und Schwielen im Gemüt‹,
wie Lizzi sagte, Brittas schöne Freundin Lizzi mit ihrer Haut wie Milchkaffee. ›Zum einen Ohr rein, zum anderen raus‹, war ihr gemeinsames Motto.
Sie teilten sich das Apartment in Manhattan, in dem Tag und
Nacht der Straßenlärm zu hören war. Man gewöhnte sich daran,
übertönte ihn mit Musik aus dem Recorder. Teuer war das Apart-
ment. Nicht zu bezahlen mit einem so geringen Einkommen. Brit-
ta war auf Nebeneinnahmen angewiesen, wenn sie sich auch noch
hübsch kleiden, reisen und gelegentlich ausgehen wollte. Auch Lizzi hatte da so ihre Quellen.
Britta erhob sich leise. Niemand außer ihr schien im Zimmer zu
sein. Doch bestimmt wurde sie auf irgendeine Art kontrol iert. Immer unter Kontrolle. Vom Regen in die Traufe. Mit Richard Hor-
nung hatte sie sich für kurze Zeit frei und glücklich gefühlt. Eigentlich war auch das wohl nur eine Illusion gewesen, und selbst dafür strafte sie der Himmel.
Britta schlich zum Fenster. Unten lag der Park. Die Wege waren
gesäumt mit Reihen sanft glimmender Solarleuchten. Das Fenster
ließ sich ohne weiteres öffnen. Wunderbar klare Nachtluft strömte herein, vermischt mit dem Duft von Gras und Laub.
Über den Himmel zogen sehr langsam seltsame, langgestreckte
Wolken, innen schwarz, mit weißen Rändern, wie Luftschiffe von
einem anderen Stern. Begegnung der dritten Art.
Brittas Zimmer lag im ersten Stock. Sie überlegte flüchtig, ob sich eine Flucht lohnen könnte. An einem Laken abseilen? Springen?
Klettern? Es gab einen Sims über den unteren Fenstern. Aber sie war sicher, daß es nicht funktionieren würde.
Diese pompöse Villa kannte sie aus ihren Träumen, vielleicht auch aus dem Kino. Sie wurde sicher sorgfältig bewacht. Wahrscheinlich lief auch die gelbe Dogge draußen frei herum. Möglicherweise gab 84
es ja einen ganzen Zwinger voll gelber, blutrünstiger Bestien mit scharfen Zähnen hinter gierigen Lefzen?
Britta trottete zum Bett zurück. Es gelang ihr, wieder einzuschlafen.
Als sie erwachte, war heller Morgen. Juri brachte ein Paket in
dem Einwickelpapier einer chemischen Reinigung. Er nickte ihr
kurz und ernst zu.
»Guten Morgen, Juri.«
Er schüttelte mürrisch den Kopf. Es sah fast nach schlechtem Gewissen aus. Er ging für kurze Zeit ins Bad und verschwand dann
wieder. Britta stellte fest, daß jetzt Zahnbürste und Zahnpasta, Hautcreme und sogar Watte-pads da waren.
In dem Paket war ihr Armani-Anzug. Das stimmte sie zuversicht-
lich. Warum sollten sie einer Todeskandidatin noch ihren Anzug
reinigen lassen?
Ihre optimistische Natur siegte wieder. Sie drehte sich nackt vor dem Spiegel. Leichte Striemen, die verheilende Stelle auf der Brust.
Sie hatte gelesen, daß Masochistinnen sich kaum in öffentliche Bä-
der trauten, wo die Leute unfreundlich auf ihre Wunden und Striemen starrten.
Britta machte sich sorgfältig zurecht und kleidete sich an. Sie zog einen Stuhl ans Fenster, setzte sich und schaute hinaus in den
stillen Park.
Nach einiger Zeit fuhr ein Sportwagen vor. Vlado stieg aus. Er
sah fabelhaft aus, wie Kevin Costner und Richard Gere zusammen, ein Mann, wie man ihn in freier Wildbahn normalerweise nicht
traf. Er trug zu einem dunkelgrauen Anzug ein weißes Oberhemd.
Sehr seriös. Man hätte kaum vermuten
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