Der Tote im Grandhotel
Kräften gefummelt, aber es war nicht so toll gewesen, wie er erwartet hatte.
Als er seinem Vater erklärte, er wolle kein Abitur machen, son-
dern ins Hotelfach einsteigen, dort könne man schnell Karriere machen, war der nicht gerade begeistert.
Leni, die ältere Schwester, war mit einem Bankmenschen verhei-
ratet. Hans Georg, der ältere Bruder, hatte eine angesehene Position als Filialleiter einer Lebensmittel-Großmarktkette. Und nun wollte Moritz, Nachkömmling und heimlicher Liebling von Hans Mach,
der als Feuerwehrmann ein aufrechtes und gesetztes Leben führte, in diese fremde, unberechenbare Welt der Hotels aufbrechen. Aber der Vater gestattete es, unter vielen Ermahnungen und mit großen 73
Bedenken.
Als die Eltern ihren Moritz ein halbes Jahr später in Berlin besuchten, staunten sie über die hübsche, kleine Wohnung ihres Sohnes. Sie wußten, daß Leben in der Stadt teuer war. Sie verspürten ein dumpfes Unbehagen – wovon bezahlte der Junge die Wohnung? – und unterdrückten es beide, ohne miteinander darüber zu reden.
Ihr Liebling hatte Geschmack und offenbar auch Erfolg. Moritz
hatte immer schon lächelnd seinen Kopf durchgesetzt. Manchmal
hatte Hans Mach den Eindruck, daß sein Sohn ihn nicht mochte.
Verachtete? Haßte? Aber nein. Er schalt sich selber dafür aus. Der Junge war liebenswürdig. Jeder sagte das. Unfähig, Böses zu denken oder gar zu tun. Er hatte Fantasie, da wirkte einer leicht etwas überdreht und ungeduldig. Vielleicht war er eine Spur leichtsinnig, aber wer es zu etwas bringen wollte, mußte wohl auch etwas riskieren.
Dieser Meinung war auch Charlotte.
»Er ist eben kein Landei«, erklärte sie ihrer Cousine Lydia. »Dein Sohn ist der geborene Großstädter. So was von guten Anlagen. Der macht seinen Weg, sage ich euch.«
Weder Charlotte selbst noch gar die Familie hatten es je fassen können, wie diesem soliden Boden so ein exotisches Gewächs hatte entsprießen können wie Charlotte. Eigentlich hieß sie Lieselotte, aber sie hatte schon als Teeny darauf bestanden, Charlotte genannt zu werden – stummes E am Schluß.
Mit sechzehn hatte sie die Schule verlassen und war fortgegangen aus der provinziellen Enge, zuerst nach Hamburg, als Verkäuferin in einer Boutique. Dann nach Berlin, wo sie als Model arbeitete.
Sie führte anfangs sporadisch Pelze vor, dann verrückte Klamotten bei der Junge-Mode-Woche. Sie machte eine nette kleine Karriere, ließ alles stehen und liegen und startete nach Paris. Eine Agentur nahm sie unter Vertrag. Sie hungerte noch einige Pfunde herunter, ließ die Nase verkleinern und den Busen neu stylen. Von einem
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verheirateten Geschäftsmann bekam sie eine Wohnung und ein
Kind. Der Sohn hieß Alain. Ihr Französisch behielt einen deut-
schen Akzent, der den Leuten gefiel.
Sie trug mit Vorliebe Sachen von Kenzo. Als sie sich von ihrem
gealterten Liebhaber trennte, ließ sie ein neues Lifting machen und setzte ihren Weg entschlossen fort, nicht an die Spitze, aber im guten Mittelfeld – bis viel jüngere Frauen ihre kleinen Hintern über die Laufstege schwenkten, die Bars rauchiger und die Drinks schwerer erschienen und der Überblick über Zigaretten- und Männerkonsum sich schwieriger gestaltete.
Charlotte machte wieder einen neuen Anfang. Sie ging zurück
nach Berlin und eröffnete eine Boutique für Second Hand und
Neues. Beziehungen hatte sie genug. Ihr Laden wurde ein Erfolg, wie alles, was Charlotte anpackte. Alain fehlte ihr ein bißchen, aber er studierte in Paris und besuchte sie manchmal.
Ihr kleiner Neffe Moritz, der da aus der Provinz anreiste, erinnerte sie an die eigenen Anfänge. Sie nahm ihn unter ihre Fittiche, besorgte ihm die Wohnung im Zentrum, gab ihm Tips, wie
man sich einrichtete, anzog, benahm.
Als sie ihn zum erstenmal abends in eine Bar ausführte, trug sie einen durchsichtigen Body mit langen Ärmeln, der unter schwar-zem Stretchnetz ihre tadellosen nackten Brüste sehen ließ, und da-zu eine Art rotes Tutu, schwarze Strumpfhosen und rote Pumps.
Moritz war nicht so naiv zu glauben, dies sei die übliche Kleidung weltläufiger Damen für die mondäne Bar, ob in Berlin, in Paris
oder anderswo.
Er blickte ihr tapfer in die Augen, vermied es, auf ihren Busen zu starren, gab ihr Feuer für zahlreiche Zigaretten und tanzte locker mit ihr auf der Glasfläche, die Laserstrahlen aus der Wirklichkeit herausschnitten.
Sie amüsierten sich beide. Charlotte fand es süß, daß der hübsche Bengel hier
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