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Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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zugestimmt:
    »Ich hoffe nur, daß keine andere Frau dahintersteckt.«
    Angela hatte angerufen: »Tralala, der dritte Frühling ist da!« Seine Sekretärin zollte errötend Beifall. Aber darum ging es ja nicht.
    Er sah anders aus. Wenn er morgens seine Joggingrunde drehte,
    zögerten manche Leute, denen er so oft am Morgen begegnet war,
    mit dem Gruß. Einer erkannte ihn überhaupt nicht. Der alte Richard Hornung war von der Bildfläche verschwunden. Niemand wür-
    de ihn jetzt bei einer Gegenüberstellung sicher erkennen. Andererseits war die Veränderung nicht so spektakulär, daß sie Argwohn erregen konnte: Warum hat er das wohl gemacht?
    Dieser Brief! Als er eintraf, löste er einen Schock bei Richard aus, der alles bisherige übertraf. Sterbende sollten so fühlen. Stationen seines Lebens jagten vor seinem inneren Auge vorbei, das Stammhirn lieferte und löschte unkontrollierbar. Angst schnürte ihm die Kehle zu, bis sich plötzlich eine völlige Leere in seinem Kopf aus-breitete. Dann fand sein Herz vom flatternden Stakkato zu ruhiger Gangart zurück.
    Sehr geehrter Herr Hornung,
    jemand weiß, daß Sie der Mann im Grandhotel waren.
    Wenn Ihnen mein Schweigen 10.000 Mark wert ist, setzen
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    Sie am Sonntag folgende Anzeige in die Berliner
    Morgenpost:
    Harry, unser Boot ist da. Melde dich.
    Keine Polizei. Sie erhalten Nachricht.
    Ein Freund
    Am nächsten Tag bereits fuhr Richard nach Hamburg. Dort suchte
    er eine Hafenkneipe auf, deren einschlägiger Ruf auch nach Rendsburg gedrungen war. Draußen waren die üblichen Plakate mit nackten Mädchen angeschlagen, doch stand kein Anreißer vor der Tür.
    Vielleicht war es auch noch einfach zu früh dafür, jetzt um neun-zehn Uhr dreißig.
    Der Schankraum lag im Souterrain. Man stieg einige ausgehöhlte
    Steinstufen hinunter. Er war mit allerhand Seefahrtsutensilien gar-niert. Von der Decke hingen Schiffsleuchten. In einer Ecke stemmte eine hölzerne Galionsfigur ihren blanken Busen statt Wind und
    Wogen dem säuerlichen Dunst von abgestandenem Bier, zu lange
    benutzten Wischtüchern, altem Rauch, Urin und Petroleum ent-
    gegen. Eine Schiffslampe blakte auf der Theke.
    Auf den Tischen lagen geblümte Plastikdecken. Auf dem Bord
    hinter der Theke standen Buddelschiffe und mit Muscheln beklebte Koggen. An einer Wand zeigte auch hier ein Schaukasten die Fotos von Stripperinnen. Die trostlose Atmosphäre wurde noch verstärkt durch Seemannsromantik aus der Musikbox. Vielleicht stellte sich eine Art Nestwärme ein, wenn es hier voll war und angefüllt mit Stimmengewirr. Aber um diese Zeit war es noch fast leer.
    Richard setzte sich an einen der Tische, bestellte bei einem betont vergnügten alten Mann das als Mindestverzehr vorgeschriebe-ne ›Gedeck‹, Bier und Schnaps, und schaute sich um. Er wartete.
    Nach einiger Zeit gesellte sich tatsächlich ein junger Mann zu ihm, dem er ebenfalls ein ›Gedeck‹ bestellte. Der Mann trug eine schwarze Lederjacke und eine Kreole im Ohr, und Richard dachte flüch-
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    tig, daß diese Typen tatsächlich so aussahen wie im Film. Viel eicht richteten sie ihr Outfit sogar nach ›Derrick‹ oder ›Tatort‹? Richard fragte den Mann rundheraus, wo man eine Waffe zu kaufen kriegte,
    ›ohne Fisimatenten und gegen gute Bezahlung‹.
    Der Mann erklärte in leicht singendem Tonfall – Richard tippte
    auf Wien –, das habe er sich schon gedacht.
    »Jemand wie Sie kommt sonst nicht her. Höchstens wenn er
    schwul ist, aber da kenn' ich mich aus. Sie könnten natürlich auch ein verdeckter Ermittler sein, aber diese Typen von der Kripo, die nicht als solche erkannt werden wollen, tarnen sich meistens viel zu perfekt. Sonst wäre das bei Ihnen eine neue Masche. Aber sie wissen wohl: Wir lassen uns hier nicht verarschen. Wir sind nett, können aber auch ungemütlich werden. Wollen Sie Hasen jagen?«
    »Kaninchen. Sie nehmen im Garten überhand.«
    Der Mann lachte.
    »Kommt immer mal wieder vor, daß in den Gärten Karnickel
    überhand nehmen. Warten Sie hier. Es kann etwas dauern. Trinken Sie noch was, das freut den Wirt.«
    Nach einer guten Stunde war er zurück. Richard war vor Aufre-
    gung naßgeschwitzt. Das Lokal füllte sich allmählich. Niemand hatte besonders Notiz von ihm genommen. Es kam ihm so vor, als
    wüßten alle hier Bescheid. Er bemühte sich jedoch um ein Poker-
    face und widerstand dem Impuls, einfach wegzugehen. Dem Schick-
    sal seinen Lauf zu lassen. Nein, das wäre unter seinem Niveau gewesen.
    Der Mann mit dem

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