Der Tote im Grandhotel
seiner
›Morgentoilette‹ führte, wie sie es zu nennen pflegte, fand den Toten. Der Hund fiepte. Sie hörte sein eifriges Kratzen. Jetzt denkt er wieder, er könnte Kaninchen jagen, dachte sie. Aber als er auch auf ihr Rufen hin nicht wieder zum Vorschein kam, schaute sie selber in das Gebüsch hinein. Da lag die Gestalt. Sie wußte sofort, daß es ein Toter war, und daß man ihn ermordet hatte.
Sie rannte nach Hause, suchte die Telefonnummer der Polizei
heraus, die sie sich immer merken wollte und dann doch vergaß,
und war noch ziemlich atemlos, als sie ihre Entdeckung meldete.
Sie waren schnell da, viel schneller, als man als Bürger meist argwöhnte. Der Tote hatte leere Taschen, wahrscheinlich waren sie vom Täter ausgeräumt worden. Ein Raubmord war es wohl nicht. Der
junge Mann sah weder nach Reichtum noch wie das Mitglied einer
Gang aus. Allerdings erlebte man auch da Überraschungen in einer Zeit, da liebe Jungs sich wie Penner ausstaffierten und Gangsterbos-se sich den Doktortitel kauften.
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Kommissar Klinke fühlte sich unbehaglich. Er war nervös. In Kiel passierten nicht jeden Tag Morde. Keiner kannte dieses Opfer. Es gab zu denken, daß der Tote geschminkt war und einen Oberlippenbart angeklebt hatte. Vielleicht gehörte der Junge doch einer illegalen Gruppe an. Man wußte nie und steckte schließlich nicht drin.
In Berlin meldete das Grandhotel der Polizei, der Page Moritz
Mach sei nach einem Kurzurlaub nicht wieder zum Dienst erschie-
nen, das sei ungewöhnlich, er sei an sich ein sehr zuverlässiger junger Mann.
Einer der Polizeibeamten dachte bei dem Wort ›Grandhotel‹ au-
tomatisch an den Mord dort, der einigen Staub in der Presse aufgewirbelt hatte. Er wollte sich nicht blamieren, aber dann rang er sich doch durch und verständigte die Mordkommission vom rätsel-haften Verschwinden eines Pagen im Grandhotel.
Bernd Wedel hatte seine neue Spur. Die Sache kam ins Rollen.
Moritz Mach stammte aus Rendsburg. Und aus Kiel wurde ein
Mord gemeldet, das Opfer sei ein sehr junger Mann. Beim Durch-
suchen der gesamten Umgebung waren in einer Heuhütte am Nord-
ufer des Kransees Schminksachen, Kleidungsstücke und eine Fahr-
karte nach Berlin gefunden worden, wahrscheinlich von dem jun-
gen Mann dort deponiert, den man ermordet aufgefunden hatte.
Der Ermordete sei geschminkt gewesen, vielleicht irgendwie etwas mit Sado/Maso, das komme jetzt ja immer mehr in Mode, die
wollten sich sogar öffentlich outen und anerkennen lassen. Da kön-ne schon mal ein tödlicher Unfall passieren.
Andererseits war hier einwandfrei zweimal geschossen worden.
Das paßte wieder gar nicht. Vielleicht eine Strafaktion für Verrat und Untreue?
Die Mordwaffe war nicht gefunden worden.
»Nach den Einschüssen zu urteilen, 'n herbes Kaliber, was Professionelles«, teilte Klinke seinem Berliner Kollegen Wedel telefonisch 117
mit.
Die unangenehme Aufgabe, die Eltern des Toten zu verständigen
und ihn identifizieren zu lassen, fiel Klinke zu. Besonders heikel daran war, daß zur unvermeidlichen seelischen Roheit, die das stets mit sich brachte, in diesem Falle noch die Tatsache kam, daß es keine Sicherheit gab: War der Tote wirklich Moritz Mach – oder
ein anderer Bursche?
Ja, er war es! Hatte seinen Eltern einen kurzen Besuch abgestattet und sein Fahrrad abgeholt. Er brauche es in Berlin. Vater und Sohn hatten Streit gehabt. Der Junge war ohne ein Abschiedswort aufge-brochen. Er konnte sehr eigensinnig sein.
Streit warum? Nichts Besonderes. Ermahnungen des Vaters zu
Sparsamkeit. Sohn aufmüpfig und von oben herab. Nun war Mach,
dieser ordentliche, angesehen Bürger, starr vor Verzweiflung. Und die Mutter schien sich aufzulösen in Schmerz und Tränen.
Wedel fuhr persönlich zur Berliner Wohnung von Moritz Mach.
Mady Saparonsky nahm er mit. Der Hausmeister schloß die Tür
auf. Alles sah sehr gepflegt und ordentlich aus, beinahe zu hübsch für eine Männerwohnung, fand Wedel. Aber was für eine Rolle spielte das jetzt noch?
Es mußte einen Zusammenhang geben zwischen dem Mord im
Grandhotel und diesem Mord. Das Gefühl, etwas stimme nicht mit
dem pfiffigen Burschen, er verheimliche etwas, wisse mehr als er sagte, hatte Bernd Wedel sicher nicht getrogen.
Wedel, Mady und ein weiterer Beamter begannen zu suchen nach
einem Etwas. Einem Hinweis, einer Erleuchtung bestenfalls. Es war Mady, die zwischen den Discs herumsuchte, wahrscheinlich eigentlich aus persönlichem Interesse, argwöhnte
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