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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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gesagt, aber er hat nur gelacht. Er lachte immer. Der andere hat auch gelacht, obwohl er wütend war.«
    »War das auf dem Schulhof?« wollte Beatrice wissen.
    »Nadelbäume haben im Haus nichts verloren.«
    »Hat der Wütende mit Ihnen gesprochen?«
    »Er hat mit mir gesprochen. Ich habe ihm gesagt, daß die Tannen nicht geschlagen werden wollen. Dann sind sie gefahren, und ich habe geschrien, obwohl man nicht schreien soll.«
    »Was haben Sie geschrien«, fragte Haver.
    »Daß die Tannen ihre Ruhe haben wollen. Meinen Sie nicht auch?«
    »Doch, das meine ich auch«, erwiderte Haver.
    Er selber hatte noch keinen Weihnachtsbaum gekauft. Meistens kam er erst am Tag vor Heiligabend dazu.
    »Wir müssen den Mann finden, der so wütend war«, sagte Beatrice, »das verstehen Sie doch. Er hat vielleicht jemandem weh getan. Wenn er so wütend war. Wir müssen mit ihm sprechen.«
    Es kam ihr merkwürdig vor, so kindisch zu reden, aber sie hatte begriffen, daß Vincent zumindest teilweise noch ein Kind war. Die Psychologin konnte einem das sicher lang und breit erklären, doch Beatrice spürte auch so instinktiv, daß es richtig war, mit ihm wie mit einem Kind zu sprechen.
    »Wie war er angezogen?« fuhr sie fort. »Hatte er feine Kleider an?«
    »Nein, keine feinen. Solche wie im Fernsehen, mit Taschen.«
    »Militärische Kleidung?«
    »Sie schießen.«
    »Jäger?« warf Karolina Wittåker ein.
    Haver hörte ihrer Stimme an, daß sie genauso gespannt war wie er selber.
    »Jäger«, wiederholte Hahn. »Sie jagen.«
    Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Seine inneren Qualen spiegelten sich in seinem Äußeren. Er schauderte und tastete nach der Wunde an seiner Stirn. Haver nahm an, daß ihm die Ereignisse in Sävja wieder in den Sinn gekommen waren. Vincent Hahn murmelte etwas Unverständliches. Haver beugte sich über den Schreibtisch. Hahn sah dem Polizisten direkt in die Augen. Haver fühlte sich seltsam dabei und hatte das Gefühl, daß der Inhaftierte für Momente erkannte, was vorging: Warum sitze ich hier? Habe ich gemordet? Haver glaubte zu erkennen, daß Hahn für Sekunden nach einer Antwort, nach Hilfe und vielleicht auch Verständnis suchte. Dann wich dieser Gesichtsausdruck wieder dem verschlossenen Blick, den sie während des gesamten Vormittags registriert hatten.
    Der Kontakt war abgebrochen, und die verbleibenden zehn Minuten des Verhörs antwortete Hahn nur unzusammenhängend auf ihre Fragen. Die Psychologin unternahm noch mehrere Versuche, zu ihm vorzudringen, aber Hahn blieb unerreichbar.

35
    Justus Jonsson war unterwegs. Wohin wußte er nicht, aber er hatte einfach nicht länger zu Hause bleiben können. Die Idee, die ihm am Morgen gekommen war, erschien ihm nun längst nicht mehr so selbstverständlich und sinnvoll. Es gab da einen Menschen, dem John vertraut hatte, und Justus wußte, wo er wohnte, denn John und er hatten ihn ein paarmal besucht. Erki war wie ein zweiter Vater für John gewesen. Er, der sich seiner Sache sonst immer so sicher zu sein schien, wurde nachgiebiger, wenn er mit dem Finnen sprach. Johns Selbstgenügsamkeit verschwand in diesen Momenten, und gelegentlich hatte Justus gehört, daß John in Gesprächen mit anderen etwas wiederholte, das von Erki geäußert worden war.
    Der Junge hatte die beiden Männer auch gemeinsam in der Werkstatt gesehen und war fast ein wenig eifersüchtig geworden, als er bemerkte, wie reibungslos sie zusammenarbeiteten. Über den Lärm, die scharfen Laute von Blech und Stahl, die schneidenden Maschinengeräusche hinweg und durch den Schweißrauch hindurch hatte sie ihr lautloses Gespräch zu einer Einheit verbunden. Es sah alles so leicht aus, wenn Erki und John arbeiteten. Ein Moment des Nachdenkens, dann wurden die Handgriffe ausgeführt. Justus hatte fasziniert das flüchtige Zögern vor dem Beginn einer Arbeit beobachtet. Die beiden mußten nicht darüber nachgrübeln, wie sie etwas zu tun hatten, sondern schienen vielmehr eine Übereinkunft mit dem Material zu treffen, das sie in den Händen hielten. Auf einen kurzen Blick folgte eine unmerkliche Abwärtsbewegung mit dem Visier und dann der funkensprühende Schein des Schweißbrenners.
    Der Finne würde ihn verstehen. Hatte er Johns Plan vielleicht sogar gekannt?
    Lennarts Anschuldigungen hatten eine Leere in Justus’ Brust hinterlassen. Warum hatte Berit gesagt, daß John seinen Bruder verabscheute? Das stimmte doch gar nicht! Im Gegenteil, Lennart war ein Teil ihres Plans gewesen. Das hatte John

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