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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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Ottosson schien Havers Gedanken erraten zu haben, denn im gleichen Moment legte er seine Hand auf Havers, sah den Kollegen an und lächelte. Dies tat er auch immer, wenn Ann Lindell dort saß.
    Die Berührung dauerte nur eine Sekunde, aber Ottossons Lächeln war herzlich, und Haver freute sich über das aufmunternde Nicken.
    Ola Haver blickte in die Runde, um zu sehen, ob jemand diese Geste der Kollegialität oder vielleicht auch Kameradschaft registriert hatte, die ihm vergönnt gewesen war. Berglund, der Haver gegenübersaß, lächelte schief.
    Haver war ungewöhnlich angespannt. Normalerweise deprimierte es ihn, wenn eine so große Zahl von Personen sich um den Tisch zusammenfand, denn nur Gewalt und anderes Elend brachte diese Ansammlung von Polizeibeamten hervor. Es war nicht so, daß Haver seine Arbeit satt gehabt hätte, aber er wußte wie viele andere im Präsidium, daß die Ermittlungen in einem Mordfall der Arbeit an anderen Fällen Mittel entzogen. Einige Täter würden auf freiem Fuß bleiben, weil sie sich hier versammelt hatten. So einfach war das. Gewalt führt zu Gewalt, hieß es, und das stimmte wortwörtlich. Unter Umständen mußten die Ermittlungen zu einer Vergewaltigung oder einer Schlägerei in der Stadt zurückstehen, und dadurch wurde der Mob wiederum ermuntert, mit seinem Treiben fortzufahren.
    Der Polizeichef pflegte davon zu sprechen, »die richtigen Signale« zu setzen. Die Ermittlung in einem Mordfall war ein Signal für einen Anstieg der Kriminalität. Haver war das schon immer klar gewesen, aber an dem Morgen traf ihn diese Erkenntnis mit besonderer Wucht, vielleicht weil Sammy Nilsson sich auf dem Weg zum Konferenzraum bei ihm beklagt hatte. Sammy war an einem neuen Projekt gegen Gewalt auf der Straße beteiligt, das man ins Leben gerufen hatte, nachdem es zu einigen »Zwischenfällen« gekommen war, wie der Polizeichef sich ausgedrückt hatte; drei Fälle von Körperverletzung, in die verschiedene Jugendgangs verwickelt gewesen waren, zuletzt in der Nacht des Luciafestes.
    Nun war Sammy gezwungen, diese Arbeit ruhen zu lassen um den Fall des kleinen John mit aufzuklären. Haver hatte den Mißmut im Gesicht seines Kollegen gesehen und ihn voll und ganz verstanden. Sammy konnte vielleicht besser als jeder andere im Kommissariat mit Jugendlichen umgehen. Zusammen mit dem Kommissariat für Rauschgiftdelikte hatte er viel dafür getan, die Gangs aufzulösen und mit den jungen Burschen ins Gespräch zu kommen, die wie wilde Tiere durch die Stadt und ihre Vororte zogen. Dies waren Sammys eigene Worte. »Sie sind wie Herden, die von ihren Weiden vertrieben werden«, hatte er gesagt. Wo diese »Weiden« lagen, hatte er jedoch nicht erklärt. Auch nicht, wer sie von dort vertrieb. Haver vertrat eher die Auffassung, daß es die Gangs waren, die andere, friedlichere Einwohner Uppsalas von den Straßen vertrieben.
    Ottosson bat um Ruhe, und es wurde sofort still am Tisch. Der Leiter des Kommissariats wartete ein paar Sekunden ab, der ganze Raum war in Schweigen getaucht. Es war, als wollte Ottosson dem kleinen John einen Moment der Besinnung schenken. Alle im Raum wußten, daß er den Toten gekannt hatte, seit dieser sechzehn war. Vielleicht war das auch der Grund dafür, daß alle in stillschweigendem Einverständnis aufhörten, in ihren Papieren zu blättern und zu plaudern. Einige sahen Ottosson an, andere starrten auf den Tisch.
    »Der kleine John ist tot«, begann Ottosson. »Es gibt sicher einige, die der Meinung sind, daß man darum nicht viel Aufhebens zu machen braucht.«
    Er verstummte, und Haver, der seinen Chef aus den Augenwinkeln beobachtete, spürte, daß Ottosson unsicher war, wie er weitermachen sollte. Oder fragte sich der Chef, ob seine Worte die versammelten Polizisten beeinflussen würden? Ottosson bemühte sich stets um eine gute »Stimmung«, und Haver ahnte, daß er davor zurückschreckte, etwas zu sagen, womit er eventuell die Atmosphäre vergiften könnte.
    »Aber«, fuhr Ottosson mit kraftvoller Stimme fort, »der kleine John war einmal ein junger Bursche, der auf die schiefe Bahn geriet. Einige von euch kennen Lennart, seinen großen Bruder, und damit vielleicht eine Erklärung dafür. Ich hatte das Privileg, auch die Eltern des kleinen John kennenzulernen, Albin und Aina, sie waren anständige Menschen.«
    Wie will er jetzt die Kurve kriegen, dachte Haver und empfand fast körperliches Unbehagen. »Anständige Menschen« war ein Ehrentitel, den Ottosson gelegentlich

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