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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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von der Polizei verhört worden war. Vielleicht hatte er bei der Gelegenheit das eine oder andere aufgeschnappt.
    Micke Andersson wollte gerade ins Bett. Die letzten Tage hatten ihn völlig geschafft, trotzdem fand er keinen Schlaf.
    »Du bist es?«
    Micke mochte Lennart nicht, aber er war trotz allem Johns Bruder.
    »Das mit John tut mir leid«, fuhr er fort.
    Lennart betrat, ohne ein Wort zu erwidern, die Wohnung, auf jene selbstverständliche Art, die Micke so verabscheute.
    »Hast du ein Bier?«
    Micke war erstaunt, daß er überhaupt fragte. Meistens ging Lennart einfach zum Kühlschrank und nahm sich, was er wollte.
    »Ich hab gehört, die Bullen haben mit dir geredet«, sagte Lennart und öffnete die Büchse.
    Micke nickte, er setzte sich an den Küchentisch.
    »Was haben sie gesagt?«
    »Sie haben mich nach John gefragt. Er ist an dem Tag hier gewesen, an dem er gestorben ist.«
    »Wirklich? Davon hat mir bisher keiner was gesagt.«
    »Doch, er war am späten Nachmittag hier.«
    »Was wollte er denn?«
    »Was glaubst du?«
    Die Müdigkeit ließ Micke gereizt auf Lennarts Fragen reagieren.
    »Schon gut, was hat er gesagt?«
    »Wir haben uns ganz normal unterhalten.«
    »Worüber?«
    Micke begriff, daß Lennart es wirklich wissen wollte, und versuchte sich das Bild eines lebendigen John ins Gedächtnis zu rufen, der zwar nicht sorglos, aber doch recht zufrieden gewesen war mit seinen Alkoholtüten und einer Familie, zu der er nach Hause gehen konnte.
    »Er hat nichts gesagt?«
    »Worüber?«
    »Über irgendein krummes Ding, du weißt schon, was ich meine.«
    Micke stand auf und holte sich auch ein Bier.
    »Er hat nichts Ungewöhnliches gesagt.«
    »Denk nach.«
    »Ja, glaubst du denn, ich hätte nicht nachgedacht. Jede verdammte Sekunde habe ich darüber nachgegrübelt.«
    Lennart betrachtete den Freund seines Bruders, als würde er dessen Aussage bewerten, und trank einen Schluck Bier, ohne Micke aus den Augen zu lassen.
    »Glotz nicht so«, sagte Micke.
    »Habt ihr irgendeine Scheiße am Laufen gehabt?«
    »Red keinen Quatsch!«
    »Pferde und so ein Scheiß, womit ihr euch abgegeben habt«, sagte Lennart, der nur selten in die Tippgemeinschaften aufgenommen wurde, die sich bildeten und wieder auflösten, vor allem, weil sich niemand auf seine Zahlungsfähigkeit verlassen wollte.
    »Nichts«, versicherte Micke in einem Tonfall, der versuchte, bestimmt zu klingen, aus dem Lennart jedoch Unsicherheit zu erahnen meinte, genau wie aus Mickes Blick, der für Sekundenbruchteile unstet flackerte.
    »Bist du da ganz sicher«, sagte er. »Es geht um meinen einzigen Bruder.«
    »Es geht um meinen besten Freund«, erwiderte Micke.
    »Wehe, du lügst.«
    »Willst du sonst noch was wissen? Ich muß pennen.«
    Lennart schlug einen anderen Ton an.
    »Du kommst doch zur Beerdigung?« sagte er.
    »Natürlich.«
    »Kannst du es begreifen?«
    Lennarts Augen und der Blick, den er auf die Tischplatte richtete, so als hoffe er in der abgewetzten Spanplatte eine Erklärung für den Mord an seinem Bruder zu finden, verrieten, wie verzweifelt er tatsächlich war.
    Micke streckte den Arm über den Tisch aus und legte seine Hand auf Lennarts Arm. Lennart blickte auf, und wo Micke bei früheren Gelegenheiten ausschließlich Tränen im Suff gesehen hatte, glitzerten nun wirkliche Tränen.
    »Nein«, antwortete Micke heiser, »ich kapiere es auch nicht, ausgerechnet John.«
    »Ausgerechnet John«, wiederholte Lennart wie ein Echo.
    »Das habe ich auch gedacht. Wo es doch so viel anderes Gesocks gibt.«
    »Geh jetzt nach Hause und versuch zu schlafen. Du siehst ziemlich fertig aus.«
    »Ich werde erst aufhören, wenn ich den Mörder fertiggemacht habe.«
    Mickes Gefühle waren zwiespältig. Er wollte Lennarts Litaneien über Rache nicht hören, aber gleichzeitig auch nicht allein gelassen werden. Seine Müdigkeit war verflogen, und er wußte, daß es eine lange Nacht werden würde. Er kannte die Symptome. Jahrelang hatte er unter Schlaflosigkeit gelitten. Zeitweise war es besser geworden und er in tiefen, traumlosen Schlaf gesunken, der fast schon einer Bewußtlosigkeit glich und ihm wie ein Geschenk erschien. Aber dann kehrten die durchwachten Nächte mit den offenen Wunden wieder zurück. So empfand er es jedenfalls: wie brennende Wunden, die sein Inneres verzehrten.
    »Was sagt denn Aina?«
    »Ich glaube, sie hat es noch gar nicht richtig begriffen«, antwortete Lennart. »Sie wird sowieso allmählich ein bißchen wirr im Kopf, und das

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