Der Tote im Schnee
Platz zeigte, wo das Auto gestanden hatte, waren ihm noch dazu Zweifel gekommen, ob der Wagen mit einem aufmontierten oder einem festen Ladeflächengehäuse ausgestattet war. Mit anderen Worten, es kamen ungefähr zehn verschiedene Automarken in Frage. Nur bei der roten Lackierung war er sich nach wie vor sicher.
War der Mörder verletzt gewesen und hatte deshalb die Universitätsklinik besucht? Sie hatten sich bei der chirurgischen Ambulanz umgehört, waren jedoch auf nichts Interessantes gestoßen.
Die Tatwaffe brachte die Ermittlungen oft voran, aber in diesem Fall schien sie in eine Sackgasse geführt zu haben. Das Messer würde erst wieder wichtig werden, wenn es ihnen gelang, einen Verdächtigen zu ergreifen, den sie dann mit der Waffe in Verbindung bringen konnten.
Haver legte das Messer in die Plastiktüte zurück und blieb nachdenklich sitzen, wobei seine Gedanken mal um die Ermittlungen und mal um Ann Lindell kreisten. Ihr Kuß war zu einer Wolke angewachsen, die bedrohlich über seinem Kopf hing. Verunsicherung nagte an ihm. Zum ersten Mal während seiner Ehe mit Rebecka hatte er Zweifel. Die herbstlichen Scharmützel in ihrer Beziehung, die von mindestens ebenso anstrengenden Waffenstillständen mit Schweigen und unausgesprochenen Fragen unterbrochen worden waren, hatten sich nun zu einem offenen Krieg entwickelt. Rebecka hatte seinen Besuch in Lindells Wohnung nicht mehr erwähnt, ebensowenig das Mehl auf seinen Kleidern. Sie hatte ihn nur mit kaltem Blick angesehen und war ihm aus dem Weg gegangen. Den Morgen hatte sie größtenteils im Badezimmer und im Schlafzimmer verbracht. Sie hatten nicht gemeinsam gefrühstückt, und Haver war froh darüber gewesen. So blieben ihm ihre Blicke erspart.
Jetzt fürchtete er sich davor, nach Hause zu kommen. Sollte er sagen, was geschehen war? Sie würde wahnsinnig wütend werden. Sie war eifersüchtig, das hatte er schon früher erfahren müssen, nicht zuletzt, wenn es um Ann Lindell ging. Haver vermied es deshalb zu Hause, über Ann zu sprechen, denn er wußte, Rebecka gefiel es nicht, daß sie ihm so nahe stand. Bisher war ihre Eifersucht grundlos gewesen, aber wenn er Rebecka nun von dem Kuß erzählte, würde die Hölle los sein. Selbst wenn sie eine Erklärung akzeptierte und versuchte, einen Schlußstrich unter die Angelegenheit zu ziehen, würde sie fortan immer mißtrauisch bleiben.
Er beschloß, ihr nichts davon zu erzählen. Aber er konnte nicht leugnen, daß sich in seinem Innern Stolz und Scham darüber, Rebecka betrogen zu haben, auf eigentümliche Weise vermischten. Gleichzeitig hörte er eine schwache Stimme, die ihn ermahnte, sich wieder bei Ann zu melden, weiterzugehen und vermintes Gelände zu betreten.
Es war lange her, daß er sich für attraktiv gehalten hatte. Aber nun hatte ihn jemand berühren wollen. Er hatte sich ihr nicht aufgedrängt. Ann war mindestens genauso schuldig, wenn man überhaupt von Schuld sprechen konnte. Auch wenn es bei einer Umarmung und einem Kuß geblieben war, fühlte Haver doch, daß Ann sich hatte vorstellen können, weiterzugehen, und als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, wurde er plötzlich wütend auf sie. Sie hatte ihn verführt. Ann wußte nur zu gut, daß es Rebecka gab, und wie eifersüchtig sie war. Die Kollegin hatte seine leicht erkennbare Schwäche ausgenutzt. Nein, so ist es nicht gewesen, dachte er gleich darauf, und sein Ärger verflog so schnell, wie er gekommen war. Sie waren einfach nur zwei erwachsene Leute, die sich nach der Nähe eines anderen Menschen sehnten. Ann war, abgesehen von Rebecka, die Frau, die ihm am nächsten stand. Die Arbeit hatte sie beide zusammengeschweißt, und außer dem gegenseitigen Respekt vor ihren Fähigkeiten als Polizeibeamte hatte es schon immer zwischen ihnen geknistert.
Jetzt war etwas in Bewegung geraten. War es Liebe oder vor allem eine Sehnsucht nach Wärme, der Ausdruck einer Freundschaft, der es schwerfiel, Grenzen zu ziehen?
Er begriff, daß zwischen ihm und Rebecka vieles im argen lag. Die Leidenschaft in Anns Umarmung und die Reaktion seines Körpers, wie ein Rausch nicht nur aus Begehren, sondern auch Vertrautheit, waren Beweis genug für sein jämmerliches Gefühlsleben. Rebecka und er waren unglücklich, so einfach war das, und ein einziger Kuß hatte gereicht, um Haver dies einsehen zu lassen.
Konnte er weiterhin mit Rebecka zusammenleben? Das mußte er. Sie hatten zwei Kinder und liebten einander noch. Er glaubte es jedenfalls.
28
Allan
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