Der Tote im Schnee
groß.
Vivan hatte beteuert, sie würde ihn nicht verpfeifen; aber in ihren Augen hatte er gesehen, daß sie log. Er hatte eine gewisse Erregung verspürt, als ihr Körper sich unter seinem schüttelte. Sie hatte versucht ihn zu kratzen, ihn jedoch nicht erreicht. Seine Knie hatten ihre Arme zu Boden gepreßt. Nach zwei Minuten war es vorbei gewesen. Er hatte sie über den Boden geschleift und unter das Bett geschoben und sie dort zum Verrotten liegen lassen. Wenn es anfing zu stinken, würde man sie finden, früher nicht. Dann würde er schon weit weg sein.
Er lächelte still vor sich hin. Die Befriedigung darüber, das Ganze so gut gelöst zu haben, erfüllte ihn mit fast schon quälender Seligkeit. Quälend, weil er das Gefühl mit niemandem teilen konnte. Aber in einer Woche würde er in der Zeitung darüber lesen dürfen. Dann würden die Leute begreifen, daß mit Vincent Hahn nicht zu spaßen war.
Upsala Nya Tidnings Schlagzeile am Bahnhof ließ ihn stutzen. »Mord in Uppsala noch immer nicht aufgeklärt« stand da. Er starrte die schwarzen Buchstaben an und versuchte zu verstehen. War Gunilla Karlsson gestorben? Das war unmöglich. Sie hatte zwar auf der Erde gelegen, aber er selber war dem Tod doch viel näher gewesen. Er kaufte die Zeitung, schob sie in die Jackentasche und eilte weiter. Auf dem Bahnhofsvorplatz wurde etwas aufgeführt. Etwa ein Dutzend Personen, die wie Weihnachtsmänner gekleidet waren, führten eine Art Tanz vor. Die Glöckchen in ihren Händen klingelten. Plötzlich warfen sie sich alle auf die Erde und blieben wie leblos liegen. Fasziniert beobachtete Vincent das Schauspiel. Einer nach dem anderen erwachten die Weihnachtsmänner wieder zum Leben, standen langsam auf und bildeten einen Kreis um den dreizehnten Weihnachtsmann, der noch auf dem kalten Straßenpflaster lag.
»Das ist die Dunkelheit der Weihnacht«, schrie einer der Weihnachtsmänner.
Vincent dachte, daß es sich um eine Art Weltuntergangssekte handeln mußte. Das gefiel ihm. Die Glockenklänge begleiteten ihn die Bangårdsgatan hinab.
Die Bingohalle war ungewöhnlich spärlich besetzt. Er nickte ein paar bekannten Gesichtern zu, aber die meisten waren in ihre Zahlenreihen vertieft. Vincent setzte sich auf seinen angestammten Platz und schlug die Zeitung auf. Das erste, was er sah, war das Bild von John Jonsson. Der Journalist hatte die Ereignisse zusammengefaßt und spekulierte über denkbare Motive. Johns gebrochener Lebensweg wurde hervorgehoben, aber auch die Tatsache, daß er neben seinem brennenden Interesse für Aquarienfische ein professioneller Spieler gewesen sei.
Ein Vertreter des örtlichen Aquaristikvereins hatte geäußert, Johns Tod sei eine Tragödie und ein unersetzlicher Verlust für den Verein und alle Liebhaber von Buntbarschen.
Den größten Raum nahmen jedoch Spekulationen über Johns mögliche Verbindungen zur Unterwelt von Uppsala und illegalen Glucksspielclubs ein.
Vincent las den Artikel mit großem Interesse. Er erinnerte sich noch gut an John. Ein schweigsamer, kleiner Kerl, der sich durch seine Wortkargheit Respekt verschafft, aber auch Unsicherheit erzeugt hatte. Er hatte nicht weit von Vincent entfernt gewohnt, und in der Unterstufe waren sie des öfteren gemeinsam zur Schule gegangen. Vincent pflegte schweigend neben ihm herzulaufen und hatte gespürt, daß John es zu schätzen wußte, wenn er nicht in einem fort plapperte.
Vincent legte die Zeitung beiseite. Er hatte wieder Kopfschmerzen und starrte das Bild seines ehemaligen Schulkameraden an. Wann war er gestorben? War er ein Teil von Vincents Plan gewesen, sich zu revanchieren? Die Quälgeister von damals sollten bestraft werden. Er zuckte zusammen und spürte die Schläge noch einmal. Sein Vater, der über ihn gebeugt stand, das Jammern seiner Mutter in der Küche, die Schläge, die ihn trafen.
»Nein«, schrie er, und die Bingospieler um ihn herum zuckten zusammen und starrten ihn mißbilligend an.
Die Schläge trafen ihn. Er duckte sich. Einmal hatte er zurückgeschlagen, aber dadurch war alles nur noch schlimmer geworden. Jetzt kroch der Vater in seinem Körper herum wie ein parasitärer Wurm. Johns Bild in der Zeitung erinnerte ihn an den Vater, an dessen wortlose Schläge. Warum Vincent? Er war der Kleinste, der Schutzlose, der sich nicht verteidigen konnte. Wolfgang bekam die Liebe und er die Schläge, er wurde erniedrigt.
Hatte er John ermordet? Er betrachtete erneut das Porträt in der Zeitung. Vielleicht war die Zeit
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