Der Tote in der Wäschetruhe
Der 15-Jährige verbringt die meiste Zeit dort, schaut dem Treiben zu und trinkt Bier und Pfefferminzschnaps. Tanzen ist nicht sein Ding. Gelernt hat er es nicht, und es fällt ihm schwer, im Takt zu bleiben.
Die Stimmung im Saal ist gut. Die Combo auf der Bühne gefällt den Jugendlichen. Mittlerweile ist es nach Mitternacht. Eigentlich müsste Katja um diese Zeit zu Hause sein. Doch sie macht sich keine Gedanken. Mutti und Vati schlafen sowieso. Ihre Arbeit im Stall der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft und daheim in der kleinen Bauernwirtschaft ist schwer und macht müde. Katja und ihrer Freundin Julia ist warm geworden. Sie gehen hinaus, um frische Luft zu schnappen. Dort stehen etliche Jugendliche. Sie rauchen und quatschen miteinander. Liebespaare halten sich eng umschlungen und knutschen. »Na, der will wohl heute nichts von dir«, neckt Julia ihre Freundin. Kaum hat sie das gesagt, steht der junge Mann bei den Mädchen. »Wie geht's?«, fragt er. Die Zunge liegt ihm dabei schwer im Mund nach 20 Glas hellem Bier und sechs bis acht doppelten »Pfeffi«. Zwischendurch hatte es den jungen Mann draußen vor der Gaststätte kurzzeitig »umgehauen«. Einer seiner Kumpel musste ihn zurück in die Gaststätte schleppen.
Katja stört es nicht, dass der Herbeigesehnte auf wackligen Beinen steht. Sie ist verliebt, und als er sie flüsternd fragt: »Wollen wir nicht woanders hingehen?«, sind die Schmetterlinge im Bauch aufgescheucht wie den ganzen Abend noch nicht. »Ich geh dann mal wieder rein«, sagt Julia und zwinkert ihrer Freundin zu. Julia schlendert zurück in den Saal, und Katja verschwindet mit ihrem schwarzhaarigen Adonis in der Dunkelheit, weg von den Leuten vor der Gaststätte, der ungestörten Zweisam-keit entgegen.
Hand in Hand laufen sie Richtung Dorfende. Immer wieder bleiben sie stehen, küssen und berühren sich. Hinter dem letzten Grundstück befindet sich der eingezäunte Garten der ehemaligen Schule. Daran grenzt ein Stückchen Wiese, zu der ein Trampelpfad führt. Der Platz ist gut verdeckt durch Büsche, die sich ungehindert ausgebreitet haben. Ein kuscheliges Fleckchen für junge Leute. Katja streift sich das türkisfarbene Nikki mit dem Apfelmotiv auf der Brust über den Kopf, lässt den BH fallen, der ohnehin schon aufgehakt ist, zieht die Nietenhose samt Schlüpfer herab und die braunen Sandaletten von den Füßen. Nur die grün-rot gestreiften Kniestrümpfe bleiben an. Er lässt Jacke, Hemd, Jeans und Badehose fallen. »Pass auf«, mahnt Katja noch, dann versinkt alles um das übereinanderliegende Paar in der Bedeutungslosigkeit. Nur sie beide sind wichtig. Der Mond am Himmel ist der einzige Zeuge der zwei jungen Menschen, die sich auf der kleinen Wiese lieben.
Die Tanzveranstaltung im Saal ist inzwischen zu Ende. Im Jugendzimmer von Tenneberg haben sich einige Mädchen und Jungen zu einer Geburtstagsfeier verabredet. Zu ihnen gehören auch Manfred, Jürgen, Andreas und Jörg. Auch Katja sollte kommen, doch die ist, so vermuten die anderen, schon nach Hause gegangen.
Als die Jungs ihre Jacken an die Garderobenhaken hängen, fragt Manfred seinen Freund Jörg: »He, wo hast du denn deine Jacke gelassen, du Penner?« Der stutzt: »Muss ich wohl in der Kneipe gelassen haben«, nuschelt er und fügt hinzu: »Ich geh sie mal holen.« Kurze Zeit später ist Jörg wieder bei den anderen, die Jacke im Arm. »Alles klar«, verkündet er. Ein gutes Stündchen bemüht sich Jörg noch, wach zu bleiben. Dann drücken ihm die Biere und Schnäpse die Augen zu. Auch Manfred und Jürgen hält es nicht mehr auf den Beinen. Die drei übernachten im Jugendzimmer von Tenneberg. Früh kurz vor 6 Uhr werden die Jungs wach, machen sich in Richtung Finsterwalde auf den Weg und fahren von dort mit dem Zug nach Doberlug-Kirch-hain. Eine ereignisreiche Nacht liegt hinter ihnen.
In Tenneberg geht das Ehepaar Radunke an dem Abend, als einige Hundert Meter entfernt die Jugend in die Nacht tanzt, etwa halb elf zu Bett. Früh um 5 Uhr wird Gertrud Radunke wach. Sie steht auf und geht in das Zimmer der Tochter. Das Bett der 14-Jährigen ist unberührt. Aufgeregt weckt die Mutter ihren Sohn: »Wo ist Katja?« Der begreift, schlaftrunken wie er ist, überhaupt nicht, was die Eltern von ihm wollen. Inzwischen steht auch der Vater neben ihm. »Ist sie denn nicht zu Hause?«, fragt Rainer zurück. »Stell dich nicht so blöd«, faucht ihn der Vater an. »Die ist nicht da. Du solltest auf sie aufpassen.«
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