Der Tote in der Wäschetruhe
hatte er sich gut den Gegebenheiten angepasst. Er trat nach Einschätzung der Anstaltsleitung politisch korrekt auf, spielte in der Gemeinschaft eine positive Rolle und arbeitete hart an sich. Er ordnete sich ein und war diszipliniert.
Wegmann konnte die Freiheit jedoch nur kurz genießen. Es gelang ihm nicht, Sexualtrieb und Alkoholgenuss zu steuern. Wegen versuchter Vergewaltigung wurde er im März 1971 zu 42 Monaten Gefängnis und zur Verbüßung der auf Bewährung ausgesetzten Reststrafe aus dem ersten Prozess verurteilt. Am 24. Juli 1975 ist die Strafe verbüßt. Von einer therapeutischen Behandlung findet sich in den Akten nichts.
Trotzdem scheint es, dass er endlich Lehren aus seinem bisherigen Leben gezogen hat. Im Wohnungsbaukombinat Cottbus, in dem er seit August 1975 beschäftigt ist, entwickelt er sich zu einem guten Arbeiter mit handwerklichen Fähigkeiten. Er meistert schwierige Situationen und ordnet sich gut in seine Brigade ein. Die Kollegen schätzen seine Hilfsbereitschaft. Alkohol trinkt er auch nicht mehr. Als er den Brief von Juliane Ragow erhält, greift er wieder zur Flasche.
Bei der medizinischen Untersuchung in der Psychiatrie der Strafvollzugseinrichtung Waldheim, die seine Schuldfähigkeit für die Morde an den Ragows feststellen soll, macht Harry Wegmann zu seinen inneren Konflikten bemerkenswerte Angaben. Bereits während der letzten Inhaftierung hätte er sich vor der Entlassung regelrecht gefürchtet, weil er glaubte, zu einem Gewaltverbrechen fähig zu sein. Der Umgang mit Räubern und Mördern im Gefängnis hätte ihn in seinen Befürchtungen bestärkt. Deshalb wollte er in der Haft auch einem Nervenarzt vorgestellt werden, gibt er an. »Ich habe mich in meiner Haut ganz und gar nicht wohl gefühlt. Ich war einfach noch nicht so weit, dass ich entlassen werden konnte«, sagt er den Ärzten in Waldheim.
Was davon ist Wegmann zu glauben? Bei der Untersuchung in der Psychiatrie gibt er sich kooperativ und ist ausgesprochen höflich. Er will offensichtlich bei Ärzten und Pflegepersonal einen guten Eindruck hinterlassen. Die Untersuchungen und Unterhaltungen mit ihnen aber bewertete er als sinnlos. »Für mich gibt es ohnehin nur den Tod. Sofern das nicht im Urteil geschieht, muss ich Selbstmord begehen«, bekommen die Gutachter mehrfach zu hören.
Im Widerspruch dazu steht allerdings ein ganz anderes Verhalten des Harry Wegmann in dieser Zeit. Massiv versucht er, Verbindung mit weiblichen Strafgefangenen aufzunehmen, wie abgefangene Briefe belegten. Nahezu glorifizierend beschreibt er darin die Gründe seiner Inhaftierung. Mal nennt er fahrlässige Tötung als Grund für seinen Gefängnisaufenthalt, bei einer anderen Gelegenheit von der Verletzung der Aufsichtspflicht als verantwortlicher Bauingenieur. Er schwärmt gegenüber seinen Angebeteten vom zukünftigen gemeinsamen Glück und droht umgehend mit dem Abbruch der »sowieso illegalen Verbindungen«, wenn ihm deren Antworten nicht behagen. Als er bemerkt, dass die Briefe den Ärzten bekannt sind, spielt er den unangenehm Berührten. Demonstrativ fügt er sich mit einem stumpfen Plastikmesser einen Schnitt in der rechten Ellebogen-Beuge zu. Ernstlich verletzen wollte er sich nach Einschätzung der Ärzte damit nicht.
Harry Wegmann sieht sich auch nach den brutalen Morden an den Ragows als Opfer. Dieses Befinden zieht sich durch sein ganzes Leben. Aufgewachsen mit vier Geschwistern fühlt er sich schon in der Schule falsch verstanden. Die sechste Klasse muss er wiederholen. Nicht anders empfindet er zu Hause. »Schon als Kind hatte ich immer an allem Schuld«, sagt er den Psychiatern. Von der Mutter habe er »sehr viel Senge« bekommen. Sie wäre genauso jähzornig wie er. Zum Vater sei das Verhältnis besser gewesen. Doch auch der habe hin und wieder geäußert: »Dich schlage ich noch tot.« Letztlich stellen die Ärzte fest: »Die Beziehung zu den Eltern ist ausgesprochen hassgefärbt.« Wegmann bestätigt diese Erkenntnis. »Ich hasse jetzt alles, was es gibt, auch meine Eltern, weil alles schief gegangen ist.« Er habe bei jedem Unfug und bei allen Jugendstreichen mitgemacht. Deshalb sei damals sogar das Jugendamt auf ihn aufmerksam geworden. Die Eltern hätten sich jedoch immer wieder herausreden können. »In dieser Zeit ist mir klar geworden, wie man sich der Verantwortung entzieht«, so Harry Wegmann bei der Begutachtung.
Im August 1976 findet der Prozess gegen den gelernten Maurer aus Guben vor dem ersten Strafsenat
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