Der Tote in der Wäschetruhe
ist Rainer vollends wach. »Als ich nach Hause gekommen bin, dachte ich, die ist längst im Bett«, stammelt er. »Ich habe sie seit Mitternacht nicht mehr gesehen.«
Radunkes sind zwar wütend, doch sie trösten sich damit, dass Katja sicher wieder mal nur ihren eigenen Kopf hatte und bei ihrer besten Freundin Julia schläft. Es ist noch zu früh, um dort nachzufragen. Um 9 Uhr schickt Kurt Radunke den Sohn los, seine Schwester zu holen. Kurze Zeit später kommt Rainer ohne sie zurück. »Mit wem war Katja denn zusammen?«, forscht der besorgte Vater. Ein paar Namen von Mädchen aus dem Dorf fallen Rainer ein, dazu aus Doberlug-Kirchhain der Manfred, der Jürgen und der Jörg.
Rainer weiß, dass Katja den Jörg anhimmelte. »Nimm das Auto und fahr los. Frag, ob Katja irgendwo bei denen ist«, schickt Kurt Radunke seinen Sohn auf die Suche.
Jörg Bunte hat den ganzen Sonntag gebraucht, um die Nachwehen der Tanznacht in Tenneberg zu überwinden. Als er früh gegen 8 Uhr nach Hause kommt, macht er sich erst einmal etwas zu essen. Die Eltern, die eine Gaststätte in Doberlug-Kirchhain leiten, schlafen zu dieser Zeit noch. Er sieht sie ohnehin selten bei dem Beruf. Jörg lässt Wasser in die Badewanne und entkleidet sich. Hose und Jacke sehen schlimm aus. Völlig verdreckt sind sie. Grob reinigt er sie, später wird die Schwester alles waschen. Kaum ist er aus der Wanne raus, klingelt draußen Rainer Radunke. Er fragt nach Katja. »Hab ich seit gestern nicht mehr gesehen«, antwortet Jörg, macht die Tür zu und legt sich ins Bett. Er ist hundemüde und will nur noch schlafen. Von allen anderen, die Rainer abklappert, erntet er ähnliche Antworten. Jetzt geht Kurt Radunke selbst zu Julia und befragt die Freundin eindringlich nach dem möglichen Verbleib seiner Tochter. Doch er erfährt nichts.
»Jetzt informiere ich die Polizei«, sagt Kurt Radunke daheim zu seiner Frau. Er ruft beim Volkspolizei-Kreisamt in Finsterwalde an. Der Diensthabende versucht, den aufgeregten Mann zu beruhigen. »Vielleicht hat das Mädchen nur Angst, nach Hause zu kommen, weil sie sich nicht an die Zeit gehalten hat.« Der Offizier rät, bei allen Verwandten nachzufragen, ob das Mädchen bei denen aufgetaucht sei. »Wenn die Nachfrage negativ ist, melden Sie sich um 17 Uhr noch mal bei uns«, gibt der Polizist Kurt Radunke mit auf den Weg. Katja bleibt verschwunden. Bis auf ihre Jacke. Die bringt die Chefin der Gaststätte von Tenneberg im Laufe des Tages bei Radunkes vorbei. Sie hing verlassen am Garderobenständer.
Das ganze Dorf ist in Aufregung über das Verschwinden von Katja. Nahezu alle helfen bei der Suche nach dem Mädchen. Nur ein paar Hundert Meter von Katjas Zuhause entfernt findet eine Einwohnerin von Tenneberg am darauffolgenden Montag, den 4. September, kurz hinter dem Ortausgangsschild die Leiche eines unbekleideten Mädchens. Eine Einsatzgruppe des VPKA Finsterwalde sperrt die Umgebung weiträumig ab. Niemand hat den möglichen Tatort betreten. Der örtliche Polizeichef ist höchstpersönlich nach Tenneberg geeilt. Da es sich offensichtlich um ein Tötungsverbrechen handelt, wird die Cottbuser Morduntersuchungskommission alarmiert. Der
Leiter der MUK und vier weitere Offiziere der hochspezialisierten Ermittlungsgruppe springen in einen Wartburg-Tourist und rasen mit Blaulicht über die Autobahn, Fernverkehrs- und Landstraße in das kleine Dorf. Um 14.30 Uhr ist die Gruppe in Tenneberg, etwa eineinhalb Stunden später treffen zwei Fachärzte der Gerichtsmedizin aus Dresden am Fundort der Leiche ein. Die Getötete liegt auf dem Rücken, Arme und Beine sind gespreizt. Die Finger beider Hände sind leicht zur Faust geballt. Die Augen sind geschlossen, der Mund ist wie zu einem Lächeln leicht geöffnet. Blut verklebt das Haar. Auch das Gesicht ist blutverschmiert. Die nackte Haut auf der Brust und dem Bauch sieht verbrannt aus. Rußpartikel übersäen den gesamten Körper. Die Totenstarre ist ausgeprägt und hat die Gliedmaßen der Leiche bereits steif gemacht. Die Leichenkälte ist deutlich spürbar. Katja Radunke lebt schon seit Stunden, wahrscheinlich sogar seit Tagen nicht mehr.
Akribisch wird der Fundort abgesucht. Die Kriminaltechniker sichern zwei Schuhspuren, finden eine silberfarbene Kette und drei Streichhölzer. Zwei davon sind abgebrannt. Ein braunes Miederhöschen und ein paar braune Römersandaletten könnten von der Toten stammen. Andere Kleidungsstücke entdecken die Kriminalisten nicht, wohl aber
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