Der Tote in der Wäschetruhe
ist der Spielraum zwischen Liebe und Hass erschöpft. Maria kann die Beleidigungen und Schläge nicht mehr ertragen und lässt sich scheiden. Eberhard scheint sich schnell mit der Trennung abgefunden zu haben, denn schon bald zieht er ein paar Dörfer weiter zu einer neuen Frau.
Ein halbes Jahr später steht der Verstoßene wieder vor der Tür seiner Maria, mit Blumen in der Hand und mit Worten von Reue und Bitte um Vergebung auf den Lippen. Maria wird schwach, das Herz siegt über den Verstand.
Anfang 1971 erreicht die Werbekampagne der Lausitzer Tagebaue, Brikettfabriken und Kraftwerke rund um Cottbus, dem Kohle- und Energiezentrum der DDR, auch das beschauliche Städtchen Lübtheen im Südwesten von Mecklenburg. Im landschaftlich schönen Elbtal hat sich unter den gut 4000 Einwohnern inzwischen wie in allen anderen Ecken der Republik herumgesprochen, dass es dort in der Kohle gutes Geld zu verdienen gibt und dass es mit der Versorgung besser klappt als im industriell weniger entwickelten Bezirk Schwerin. Eberhard Mießner macht sich auf nach Cottbus, nimmt im Tagebau Greifenhain Arbeit auf und kümmert sich in der größten Stadt der Lausitz um eine Wohnung. Die ist für ein verheiratetes Paar leichter zu bekommen als für eine Familie ohne Trauschein. Zudem hat sich das Verhältnis zwischen Maria und Eberhard mit der Zeit deutlich verbessert. Statt böser Worte liebe Taten, das ist inzwischen zum Credo von Eberhard Mießner geworden. Die geschiedenen Eheleute treten im Januar 1972 zum zweiten Mal gemeinsam vor die Standesbeamtin und geben sich das Ja-Wort.
Kaum unter der Haube, vergisst Mießner erneut alle guten Vorsätze. Seine Aggressivität steigt in dem Maße, wie die Pegel in Schnaps- und Bierflaschen sinken. »Du Hure, du Schlampe, du hast mir nur Bastarde ins Haus gebracht«, sind Beschimpfungen, die Maria wieder und immer wieder über sich ergehen lassen muss. Er droht sogar, sie umzubringen und fuchtelt mit dem Brotmesser herum, um ihr Angst einzuflößen. Hinzu kommen die Schläge. Bald schon erkennen die Arbeitskollegen im Tagebau Cottbus-Nord, wo Maria inzwischen mit ihrem Mann in einer Schicht arbeitet, dass blutunterlaufene Augen und blaue Flecke an Armen und Beinen nicht von Stößen an Schrank- und Tischecken oder von Stürzen auf der Treppe herrühren. »Wie lange willst du das noch ertragen«, wird sie gefragt. »Lass dich scheiden«, raten ihr die Frauen und Männer ihres Arbeitskollektivs. Sie stehen zu ihrer Kollegin, nehmen sich auch den Ehemann zur Brust. Doch wirklich helfen können weder sie noch die Polizisten, die des öfteren von Mitbewohnern gerufen werden, wenn der Streit zwischen den Eheleuten eskaliert. Treffen die Uniformierten ein, werden sie von Maria beschwichtigt.
Einer der Gründe für das Ausharren an der Seite von Eberhard ist Enkeltochter Riccarda, die Tochter Cordula mit erst 17 Jahren auf die Welt gebracht hat. Um die Kleine kümmert sich Maria, wenn Cordula durch die Kneipen zieht oder sich von Männern aushalten lässt. Sie führt ein Leben, das in der DDR als asozial gilt und unter Strafe steht. Zweimal wird sie von Gerichten verurteilt. Riccarda kommt ins Heim oder wird von der Großmutter betreut. Inzwischen greift aber auch Maria zum Alkohol, um die körperlichen und seelischen Schmerzen zu betäuben, die ihr der Ehemann zufügt.
Es kommt der Zeitpunkt, an dem Maria Mießner merkt: So geht es nicht weiter. Sie reicht zum zweiten Mal die Scheidung ein. »Diesmal«, so nimmt sie sich vor, »löse ich mich endgültig von Eberhard.« Sie peilt eine Rückkehr nach Mecklenburg an. Dort könnte sie im Kartoffelveredelungswerk Hagenow anfangen, das ist ihr zugesichert worden. Nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Tagebau Cottbus-Nord sitzt die Aufbruchswillige gewissermaßen auf gepackten Koffern. Die Reise in eine Zukunft ohne Schläge und Demütigungen aber tritt sie nicht an. In Hagenow ist keine Wohnung zu haben, und in Cottbus nehmen die Sorgen um das Schicksal der kleinen Riccarda zu. Das Kind wird zur Adoption freigegeben, nachdem Cordula das Sorgerecht wegen Vernachlässigung der Erziehungspflicht entzogen wurde. Maria will die Enkelin zu sich nehmen und stellt den Antrag, ihr das Sorgerecht zu übertragen.
Plötzlich ist auch Eberhard, mit dem sie nach der Scheidung weiter in einem gemeinsamen Haushalt lebt, wieder wie verwandelt. Er bestärkt sie anfangs im Kampf um das Sorgerecht für Riccarda, den sie mit der Jugendfürsorge in Cottbus
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