Der Tote in der Wäschetruhe
Jungs gehen davon aus, dass Marlies und Detlev Bangelang gemeinsam zum verabredeten Treffpunkt kommen und in Sorge um ihr Kind das Geld bei sich haben. Sie wollen das Ehepaar töten und verbrennen. Das ist der Plan, der im Kopf des Schmalgesichts entstanden ist. Sein Freund Hans Motte soll ihm helfen, die Erwachsenen zu beseitigen, und dafür die 1000 Mark als Gaunerlohn erhalten. »Du nimmst dir mit dem Fäustel den Alten vor, ich erschlage die Frau mit dem >Franzosen<«, gibt das Bubigesicht letzte Anweisungen. »Wenn sie tot sind, schütten wir die Flaschen aus und verbrennen sie. Dann sofort die Tücher um die Schuhe wickeln und ab.«
Kurz vor 19 Uhr erblickt das Duo im Wald den B 1000. Langsam kommt der Kleinbus die Straße entlang, fährt Richtung Dorf, dreht um, kehrt zurück, wendet erneut. »Da ist ja ein anderer Mann mit drin«, flüstert Hans Motte überrascht. »Lass uns abhauen. Die haben uns bestimmt schon entdeckt«, drängt er seinen Kumpel. Der sieht sein Vorhaben ebenfalls gescheitert. Motte schnappt sich die Tasche mit den Mordwerkzeugen, und auf Umwegen brausen sie auf ihren Mopeds ungesehen nach Hoyerswerda zurück. Die Männer im B 1000 fahren mehrmals die Straße rauf und runter, warten noch einige Zeit und begeben sich schließlich nach Hause. »Es war wohl alles nur ein dummer Scherz«, hoffen sie.
So scheint es zu sein. Als Bangelang an der Wohnungstür klingelt, öffnet ihm Ehefrau Marlies sichtlich erleichtert: »Dirk ist da«, teilt sie ihrem Mann erfreut mit. Der aber ist alles andere als froh gestimmt. »Wo warst du«, herrscht der Vater seinen Sohn an. »Draußen, bin noch ein bisschen durch die Gegend gefahren«, antwortet der leise und schuldbewusst. »Du sollst dich nicht rumtreiben, sondern deine Hausaufgaben machen und lernen. So kommst du nie von deinen Scheißnoten runter«, braust der Vater auf. Auf dem Halbjahreszeugnis vor zwei Monaten standen drei Vieren. Das ist dem Jungen noch lange nicht vergessen. »Eine Woche Fernsehverbot, und jetzt mach dich in dein Zimmer«, weist Detlev Bangelang an. Mutter Marlies nickt, und der Junge trollt sich. Er knallt sich auf die Liege, schaltet den Kassettenrekorder an und hört Musik.
Zwei Tage später finden die Bangelangs ein anonymes Schreiben in ihrem Briefkasten.
Fam...
Die Erpressung am 10. April war nur eine Überprüfung.
Sie waren an dem angegebenen Ort mit einem Mann.
Sie wurden von unserem Mitglied beobachtet.
Bc«
Die Buchstaben sind aus Zeitungen ausgeschnitten, offensichtlich aus der »Jungen Welt«, der Tageszeitung der FDJ. Der Absender hat sie mit rotem Nagellack auf das Stück Papier geklebt. Die Bangelangs legen »den Wisch«, wie das Familienoberhaupt den Brief bewertet, achtlos beiseite.
Knapp drei Wochen später, am 28. April 1978. Dirk Bangelang kommt kurz vor 14 Uhr nach Hause. Er war nach der Schule noch bei seinem Freund. Der Junge geht in sein Zimmer, stellt die Schultasche neben den Schreibtisch. Die Tür zum Schlafzimmer der Eltern ist geschlossen. Dirk klinkt sie auf und sieht seine Mutter auf dem Bett liegen. Alles um sie herum ist voller Blut. Der Junge rennt aus der Wohnung und trifft im Haus Andrea Biedermeier. »Frau Biedermeier, mit meiner Mutter ist etwas passiert, rufen Sie einen Arzt«, bittet er sichtlich erregt. Kurz nach 14 Uhr trifft die Notärztin ein. Helfen kann sie nicht mehr. Marlies Bangelang wurde erstochen und ist schon seit Stunden tot. Um 14.25 Uhr informiert die Ärztin über den Notruf 110 die Polizei. Sie teilt den unnatürlichen Tod der Frau mit. Funkstreifenwagen rasen zu den Bangelangs. Wohnung und Haus werden abgesperrt. Polizeiposten halten Neugierige fern. Niemand darf mehr hinein oder hinaus. Eine Stunde später trifft aus Cottbus die MUK mit ihrem Chef an der Spitze vor Ort in Hoyerswerda ein. Spurensicherung und Auswertung beginnen.
Marlies Bangelang ist mit einem lilafarbenen Flanellhemd bekleidet, das vorn mit Rüschen besetzt ist. Sie trägt einen weißen Schlüpfer. Alles ist voller Blut. Der Kopf ist mit dem Schlafanzug ihres Mannes bedeckt. Sie liegt auf der linken Seite. Gesicht, Hals und Brustkorb weisen mehrere Stichwunden auf. Die Gerichtsmediziner an der Medizinischen Akademie in Dresden zählen später bei der Obduktion der Leiche fünf Stichverletzungen im Kopf-Hals-Bereich, darunter einen Mundstich, dessen Wundkanal nach unten bis an das Brustfell reicht. Auch die Verletzungen am Hals und im Brustkorb sind dramatisch. Rippenknorpel und selbst Knochen
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