Der Tote in der Wäschetruhe
durch die zum Teil geöffnete Schlafzimmertür zu springen und mit dem Messer zu drohen.
Im Zimmer ist es inzwischen hell, die Gardinen vor dem Fenster sind nicht zugezogen. Dirk sieht vom Korridor aus, dass die Mutter wieder eingeschlafen ist, und das nach dem Streit von vorhin! Sein Zorn wächst und wächst. »Ich ärgere mich über die Absage mit dem Geld und die schläft schon wieder, als geht sie das alles nichts an«, empört er sich innerlich. »Jetzt ist das Maß voll. Ich bringe sie um, ich ersteche sie.«
Dirk geht leise zum Doppelbett seiner Eltern, tut vorsichtshalber so, als ob er aus dem Schrank Wäsche herausnehmen will. Die Mutter rührt sich nicht. Sie hat das Deckbett bis über die Schultern gezogen und liegt eingekuschelt auf der rechten Seite. Er springt auf das Bett des Vaters, hält die Schlafende mit dem linken Arm samt Bettdecke fest und stößt ihr das Messer in den Hals. Marlies Bangelang schreckt hoch, dreht sich auf den Rücken und wehrt sich. Dabei rutscht das Federbett herunter bis fast zum Fußende. Mit einer Hand hält sie ihren Sohn am rechten Handgelenk fest, mit der anderen kratzt sie ihm die Wange auf. »Dirk, Dirk«, ruft sie, doch der lässt nicht von ihr ab, sondern sticht wieder und wieder zu, bis sie sich nicht mehr rührt. Ihre Augen sind weit aufgerissen, ein Anblick, den Dirk nicht ertragen kann. Er deckt ihr Gesicht mit dem Schlafanzug des Vaters zu, geht hinaus, klinkt die Tür ein und läuft, das Messer noch immer in der rechten Hand, ins Bad. Dort legt er es ins Waschbecken, dreht das kalte Wasser auf und reinigt Klinge und Schaft. Beim Blick in den Spiegel zuckt Dirk zusammen. Gesicht, Oberkörper und Arme sowie der Schlafanzug sind voller Blut. Er wäscht sich gründlich und steckt das Messer, die Lederhandschuhe und den Schlafanzug in einen Plastikbeutel. Danach geht er in die Küche, schmiert Pausenbrote für die Schule, isst eine Kleinigkeit und begibt sich wieder ins Bad zum Zähneputzen. Er zieht sich in seinem Zimmer vollständig an, schnappt die Schultasche sowie den Beutel und verlässt um 6.45 Uhr die Wohnung. Auf dem Weg zur Schule verschwinden Beutel samt Inhalt in einem der Müllcontainer hinter den Häusern. Trotz intensiver Suche wird dieser nie gefunden.
Dirk nimmt wie immer eher zurückhaltend am Unterricht teil. Nichts ist ihm anzumerken von der Tat. Seiner Banknachbarin Monika fällt lediglich auf, dass er auf der Wange eine frische Kratzspur hat. Auf ihre Frage antwortet Dirk unwirsch: »Das geht dich überhaupt nichts an.«
Um 13.05 Uhr läutet die Schulglocke die letzte Stunde für die neunte Klasse ab. Der 15-Jährige geht aber nicht auf direktem Weg nach Hause, sondern zunächst zu seinem Freund Hans Motte. Ihm gesteht er den Mord an seiner Mutter. Bei der Vernehmung am späten Nachmittag des Tattages sagt Motte laut Protokoll, das von ihm unterzeichnet ist, Folgendes aus:
»Am 28.4. gegen 13.15 Uhr kam ... zu mir in die Wohnung und erzählte mir, dass er seine Mutter umgebracht habe. Sie hätte geschrien wie ein kleines Kind, und er habe seine Unterwäsche unterwegs auf dem Schulweg verloren. Er kann auch gesagt haben, dass er seinen Schlafanzug verloren hat. Seine Mutter wäre noch zu Hause gewesen, weil sie zum Friseur wollte. Dieses sagte er mir in ganz ruhiger Weise. Er war nicht ein bisschen nervös und schilderte diesen Sachverhalt ganz ruhig. Er hatte sich ungefähr eine Viertelstunde bei mir aufgehalten. Er sagte mir auch, dass er seine Mutter mit dem Messer erstochen hat...«
Hans Motte glaubt seinem Freund nicht. »Das hast du nie und nimmer getan«, sagt er und verbannt das Geständnis in das Reich der Spinnerei. Dass Dirk schon länger mit dem Gedanken spielt, seine Eltern zu töten, weiß Hans Motte sehr wohl. Am 10. April 1978 hat er ihn bei der vorgetäuschten Entführung von diesem Vorhaben abbringen können. Dirk war es, der die Idee hatte, seine Eltern in den Wald bei Seidewinkel zu locken, um sie umzubringen, berichtet Motte der Polizei. Er habe nur mitgemacht, um zu verhindern, dass der Kumpel seine Eltern wirklich tötet. Gemeinsam hätten sie auch die beiden anonymen Zettel mit den ausgeschnittenen Buchstaben angefertigt, mit denen Dirk seinen Eltern Angst machen wollte.
Kripo und Staatsanwaltschaft glauben ihm. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass er jemals die Absicht hatte, seinem Freund bei der Verwirklichung von Mordplänen zu helfen. Ermittlungen gegen Hans Motte werden ohne jegliche Zweifel an seiner
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