Der Tote in der Wäschetruhe
Mitternacht, und Stänzer ist angetrunken. Vom Nachmittag an hat er in der Gaststätte »Glückauf« gezecht. Nun begehrt er lautstark Einlass in die Wohnung der Familie Funkel. Der Vater hat Nachtschicht, im Kinderzimmer schläft Elviras Bruder Sebastian. Die Geschwister verhalten sich mucksmäuschenstill. Hinter der Gardine stehend sehen sie, dass Stänzer nach einiger Zeit das Weite sucht. Sie legen sich wieder schlafen. Elvira lässt ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit die Schlafzimmertür unverschlossen. Sie fühlt sich durch Sebastians Anwesenheit sicher. Im Wohnzimmer ist ein Fenster leicht geöffnet.
Gegen 3.30 Uhr wird Elvira wach. Als sie die Augen aufschlägt, steht Stänzer an ihrem Bett. »Sebastian«, kann sie noch schreien, dann fällt der große, kräftige Mann ohne ein Wort zu sagen über sie her und drückt ihr den Hals zu. Der Bruder eilt zur Hilfe, und Elvira kann sich kurzzeitig befreien. Es folgt ein wilder Kampf in allen Räumen der Wohnung. Stänzer scheint bereit, die Frau zu töten, und drückt ihr ein ums andere Mal die Luft ab. Sebastian allein kann nichts gegen den wütenden Mann ausrichten, der ihm körperlich weit überlegen ist. Er greift geistesgegenwärtig nach dem Schlüsselbund, der an der Garderobe hängt, rennt aus der Wohnung und schließt von außen ab. Die von ihm alarmierten Nachbarn rufen die Polizei. Dann kümmern sie sich gemeinsam mit Sebastian um Elvira. Die liegt bewusstlos im Korridor, ist nicht ansprechbar, atmet schwer, und aus ihrem Mund läuft Blut. Notärzte retten nur knapp ihr Leben.
Stänzer hat die Wohnung verlassen, wie er sie betreten hat -durchs Wohnzimmerfenster über die Leiter, die er von einem
Nachbargrundstück entwendet hatte. Er flüchtet mit dem Zug nach Berlin, angeblich, um eine Bekannte zu besuchen, die an der von ihm angegebenen Adresse nie gewohnt hat und fährt später zurück zu den Eltern, die unweit von Lübbenau, in Boblitz, wohnen. Stänzer ist klar, dass die Polizei nach ihm fahndet. Scheinbar einsichtig stellt er sich. Sein Vater begleitet ihn zum Polizeirevier.
Doch von Reue keine Spur. Er streitet ab, Elvira gewürgt zu haben, und erzählt seine Geschichte. Demnach sei er nach dem Kneipenbesuch zufällig bei Elvira vorbeigekommen und habe ein paar Steinchen gegen das Fenster geschmissen. Elvira habe ihm zugewinkt, und glücklich über ihr Zeichen sei er mit einer unweit vom Haus ausgeborgten Leiter bei ihr eingestiegen. Doch statt zärtlicher Küsse habe er von seiner Verlobten Schläge ins Gesicht bekommen. Nur um sie abzuwehren, habe er sie in den Flur gestoßen, dann sei er aus Angst über die Leiter abgehauen. Das alles wisse er genau, an ein Würgen könne er sich dagegen wegen seiner enormen Erregung nicht erinnern.
Stänzers Eltern unterstützen die Darstellungen ihres Sohnes. »Ich wäre doch sonst nie mit zur Polizei gegangen«, entrüstet sich der Vater über die erheblichen Zweifel, die die Ermittler haben. Denn alle ärztlichen Befunde und Zeugenaussagen enttarnen die Aussagen von Wilfried Stänzer als Lügenmärchen und Schutzbehauptungen.
Der gebärdet sich bei den Vernehmungen durch Polizei und Staatsanwalt und in der Untersuchungshaft wie ein Verrückter. Die Anschuldigungen gegen ihn bezeichnet er als »pure Fantas-terei« der Kriminalpolizei. »Geht mir mit eurer ewigen Fragerei nicht auf den Geist«, beschimpft er die Ermittler. Er springt während der Vernehmung vom Stuhl auf und will das Vernehmungszimmer verlassen. Dem Zugriff der Bewacher versucht er sich zu entziehen, indem er brüllt: »Wenn ihr mich anfasst, schreie ich.« Im Gefängnis zertrümmert Stänzer Möbel und reißt in den Zellen Waschbecken und Armaturen heraus. Mehrfach beschwert er sich wegen »skandalöser Haftbedingungen« und verlangt, dass der Haftbefehl aufgehoben wird. Schließlich
könne man ihm höchstens leichte Körperverletzung anlasten und ihn dafür nie und nimmer wegsperren.
Das Bezirksgericht Cottbus macht Wilfried Stänzer im November 1978 den Prozess. Er findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Zahl der Wachhabenden im Gerichtssaal wird erhöht, der Angeklagte wird in Fußfesseln vorgeführt. Hin Geständnis ist von ihm auch vor Gericht nicht zu hören. Stänzer beruft sich auf seine Erinnerungslücken zur Tatzeit und bleibt bei seinen Lügen, selbst als diese widerlegt sind.
Das Gericht verurteilt Wilfried Stänzer wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Freiheitsentzug. Das Oberste Gericht weist seine
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