Der Tote in der Wäschetruhe
Unschuld eingestellt.
Was hat sich im Innersten von Dirk Bangelang vollzogen bis zu jener schrecklichen Tat, die ihm niemand zugetraut hätte? In einer Einschätzung seiner Schule ist von einem politisch zuverlässigen Elternhaus die Rede, was sich auch in Standpunkten von Dirk widergespiegelt hat. Er wollte Offizier der Nationalen Volksarmee werden, hat aber den Gesundheitstest nicht bestanden. Ihm werden gute bis befriedigende Leistungen, schnelle und gründliche Auffassungsgabe, gut ausgebildetes und logisches Denkvermögen, handwerkliches Geschick und technisches Wissen und Können bescheinigt. In der Reparaturbrigade der Schule hat er sich als besonders tüchtig erwiesen. Im Klassenkollektiv ist er geachtet und beliebt, ist nie niedergeschlagen oder schüchtern, niemals jähzornig, brutal, unbeherrscht oder gewalttätig aufgefallen. Lehrern gegenüber trat Dirk stets höflich und freundlich gegenüber. Dann aber die Einschränkung: In letzter Zeit ist er mehrfach unpünktlich gewesen und hat nicht mehr so regelmäßig wie früher an außerschulischen Veranstaltungen teilgenommen. Ein Leistungsabfall war unverkennbar.
Mehr Einblick in das Seelenleben des zur Tatzeit 15-Jährigen gibt eine Zeichnung, die im Zimmer des Beschuldigten gefunden wird. Sie stammt aus der Zeit des sechsten Schuljahres. Entstanden ist sie im Zusammenhang mit dem Thema »Verantwortliche Tätigkeit der Eltern«. Auf dieser Zeichnung hat Dirk überdimensional groß und stark seine Mutter dargestellt. Sie trägt einen Stahlhelm auf dem Kopf, hat ein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett in der Hand und gibt einen Befehl. Er selbst ist extrem klein gezeichnet, ein Zwerg eben, der in strammer Haltung seine Meldung macht.
Der psychologische Befund, der nach eingehender Untersuchung in der Medizinischen Akademie in Dresden angefertigt wurde, spricht eine deutliche Sprache. Danach hat dem Sohn in den letzten Jahren die zunehmende Gängelei zu Hause geschadet. Er musste daheim sein, wenn die Eltern von der Arbeit kamen, »um Aufträge anzunehmen«, wie er es gegenüber der Psychologin ausdrückte. Bevor er auf die Straße gehen konnte, musste er Rede und Antwort stehen, ob alles »Befohlene« abgearbeitet war. Er durfte weniger allein entscheiden als Alterskameraden. Ausgesprochenen Strafen wie Fernseh- und Mopedfahrverbot hat er nie widersprochen aus Angst, dass diese dann noch erhöht würden. Je nachdem wie der Arbeitstag des Vaters war, sei seine Laune gewesen. Dirk und seine beiden Schwestern seien meist froh gewesen, wenn der Vater nicht zu Hause war. Dirk habe sich sogar seit etwa einem Jahr gewünscht, dass die Eltern tödlich verunglücken. Zärtlichkeit mit der Mutter oder dem Vater hat es nach Einschätzung des Sohnes nicht gegeben. Er hat sie auch nicht vermisst, mehr Kameradschaft und Zuwendung bei der Lösung familiärer Konflikte dagegen schon. Seit Januar 1978 habe er den Vorsatz gehabt, die Eltern zu töten. Dabei ging er nach Einschätzung der Gutachter ohne große Aufregung an die Planung der verschiedenen Etappen zur Verwirklichung seiner Tötungsabsicht. Hass auf die Eltern hat sich angesichts ihrer teils fragwürdigen Erziehungspraktiken angestaut, die geprägt waren von Inkonsequenz der Mutter und dogmatischorthodoxen Erziehungsmethoden des patriarchalischen Vaters. Die Kühle des Familienlebens in dem nach außen hin gut funktionierenden Verband beschreibt Dirk Bangelang gegenüber den Gutachtern so: »Ich habe meine Eltern nicht geliebt, ich habe auch keine Liebe vonseiten meiner Eltern gespürt.«
Das Bezirksgericht Cottbus verhandelt an zwei Tagen im November 1978 die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen Dirk Bangelang wegen Mordes und vorbereiteten Mordes in Tateinheit mit versuchter Erpressung. Es verhängt gemäß dem Antrag des Staatsanwaltes 15 Jahre Freiheitsentzug. Es ist die für Jugendliche im Gesetz festgelegte Höchststrafe.
In der Urteilsbegründung heißt es:
»Sein ganzes Handeln war nur auf Tötung gerichtet. (...)
Der Angeklagte hat in besonders verabscheuungswürdiger Weise mit einer kaum zu überbietenden Brutalität seine Mutter, die ihm das Leben geschenkt und es behütet hat, ausgelöscht. Er hat über seine Familie einen nicht wieder zu erlangenden Verlust und tiefe Trauer gebracht. Sein ganzes Handeln offenbart einen ausgeprägten Vernichtungswillen, wenn er selbst erklärt: >Sie sollte unbedingt tot sein und weil sie noch mit den Beinen zitterte, habe ich noch zweimal in den Bauch gestochen.
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