Der tote Raumfahrer
ihre Auswirkungen auf die Oberflächenstruktur daher entsprechend ausgeprägter gewesen sein. Berücksichtigte man dazu noch das Aufbrechen der Kruste und den Vulkanis-mus, den Charlie in seinen Beobachtungen der Erde (nicht Minerva) geschildert hatte, dann reichte dies alles vielleicht aus, um die Umwandlung von Charlies Erde in die moderne Erde zu erklären. Warum also konnte man heute keine Spuren der lunarischen Zivilisation entdecken? Antwort: Aus den Karten ging deutlich hervor, daß sich der größte Teil auf den Äquatorial-Gürtel konzentrierte. Heute war diese Region vollständig vom Meer, undurchdringli-chem Dschungel oder sich ausweitenden Wüsten bedeckt –was ausreichte, um die rasche Austilgung all dessen zu erklären, was immer auch nach dem Krieg und dem klimatischen Kataklysmus übriggeblieben sein mochte.
Die Gruppe der reinen Erdler zog hauptsächlich Physiker und Techniker an, die überglücklich waren, den Geolo-gen und Geografen die Klärung lästiger Details überlassen zu können. Ihre Hauptsorge war, daß das heilige Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht zusammen mit allen anderen Dingen in den Schmelztiegel des Argwohns geworfen wurde.
Indem sie sich hinter der Idee irdischen Ursprungs ver-schanzt hatten, nahmen die reinen Erdler die Positionen ein, die vorher von den Biologen fanatisch verteidigt worden waren. Jetzt, da Danchekker seine ganymedische Arche Noah entdeckt hatte, vollführten sie eine abrupte Kehrtwendung und sammelten sich hinter ihrer neuen Feststellung, die einen minervianischen Ursprung verschleppter irdischer Vorfahren postulierte. Was war mit Charlies Minerva-Lunaflugzeit und der Dauer der Rückmeldungsver-zögerung beim Annihilatorfeuerleitsystem? In der Interpretation der minervianischen Zeiteinteilung, die für diese Werte verantwortlich war, war irgend etwas nicht in Ordnung. Nun gut, wie konnte Charlie Minerva vom Mond aus gesehen haben? Videoübertragung. In Ordnung. Wie konn-
ten sie über eine solche Entfernung hinweg den Annihilator genau aufs Ziel ausrichten? Sie konnten es nicht. Das Gerät in Seltar war nur eine Fernkontrolljustierungsstation. Die Waffe selbst war in einem Satelliten untergebracht, der Minerva umkreiste.
Die dritte Flagge wehte über der Theorie der abgeschnit-tenen Kolonie. Danach hatte eine frühe irdische Zivilisation Minerva kolonisiert und war dann in ein dunkles Zeitalter gestürzt, in dem der Kontakt mit der Kolonie verlorenging. Die sich durch die Eiszeit verschlechternden Umweltbedingungen initiierten auf beiden Planeten eine Renaissance, mit dem Unterschied, daß es für die Minervianer um Leben oder Tod ging und sie den Kampf um die Rückgewinnung des verlorenen Wissens mit dem Ziel aufnahmen, zur Erde zurückzukehren. Auf der Erde jedoch herrschten ebenfalls magere Jahre, und als die minervianischen Voraustruppen schließlich einen Kontakt herstellten, war man von der Idee, die hungrigen Mäuler eines weiteren Planeten stopfen zu müssen, nicht gerade entzückt. Nachdem man mit Diplomatie nicht weitergekommen war, errichteten die Minervianer auf dem Mond einen Invasions-brückenkopf. Der Annihilator von Seltar hatte deshalb auf irdische Ziele gefeuert. Die Übersetzer hatten sich von identischen Ortsbezeichnungen auf beiden Planeten in die Irre führen lassen – wie Boston, New York, Cambridge und hundert andere Orte in den USA waren die minervianischen Ansiedlungen nach Städten auf der Erde benannt worden, als die ursprüngliche Kolonie gegründet wurde.
Die Verteidigung dieser Argumente wurden aus dem Lager der reinen Erdler heftig attackiert und aufgefordert, das Fehlen lunarischer Relikte auf der Erde zu erklären.
Aber sie erhielten aus einer unerwarteten Richtung Verstärkung: aus der Domäne der Untersuchung fossiler Korallen im Pazifik. Schon lange war bekannt, daß die Analysen der Wachstumsringe uralter fossiler Korallen Hinweise darauf lieferten, wie viele Tage das Jahr in verschiedenen historischen Epochen enthalten hatte und wie stark die Kräfte der Gezeitenreibung gewesen waren, die die Rotation der Erde um die eigene Achse abgebremst hatten. Diese Untersuchungen wiesen zum Beispiel nach, daß vor 350 Millionen Jahren das Jahr ungefähr vierhundert Tage aufgewiesen hatte. Die Forschungsarbeiten, die vor zehn Jahren vom Darwin Institut of Oceanography in Australien durchgeführt und bei denen verfeinertere und genauere Techniken verwendet worden waren, hatten ergeben, daß die
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