Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
Vom Netzwerk:
wenig Fleisch auf den Rippen, dass sie ohne Weiteres dem Pärchen im VW-Bus hätte gehören können. Mair fütterte sie, pflegte sie gesund und nannte sie John. Nach einem Monat stolzierte John umher wie Bambi, noch nicht ganz koordiniert, aber mit hoffnungsfrohem Schwanken. In den folgenden sechs Monaten hatte die Hündin keine anderen Sorgen, als ihren riesigen Pfoten hinterherzuwachsen und so viele Leute wie möglich mit ihrem feuchten Hundelächeln einzuwickeln. Mich konnte sie nicht täuschen. Sie war weder angeleint noch im Zwinger, und doch blieb sie. Ich habe versucht, meiner Mutter zu erklären, was es mit dem Stockholm-Syndrom auf sich hatte, doch sie bestand darauf, dass der Hund bei uns blieb, weil er uns liebte.
    Angestachelt von diesem Wunder des Lebens sammelte Mair eines Tages ein nacktes, quiekendes, madenähnliches Wesen neben der Straße auf. Wenn es nicht auf der Türschwelle des Todes hockte, dann doch zumindest in dessen Vorgarten. Sie erkannte ein Potenzial, das keiner von uns zu sehen imstande war, und brachte das Bündel zu Dr. Somboom, dem Viehspezialisten. Dr. Somboom hatte seine abendliche Tierarztpraxis nicht etwa eingerichtet, weil er Haustiere so sehr mochte – tatsächlich fand er sie höchst unangenehm –, sondern weil nur sehr wenige Leute ihre kranken Kühe nach Feierabend in eine Tierarztpraxis brachten. Und außerdem war mit Haustieren viel mehr Geld zu verdienen. Er zog Gummihandschuhe an, bevor er sich dazu herabließ, Mairs jüngsten Fund anzufassen. Offensichtlich sah auch er den Todesengel, der über dem Welpen schwebte, denn er konnte ihm nur noch eine Sterbehilfe verschreiben. Doch davon wollte Mair nichts wissen. Sie bestellte einen Medikamentencocktail für eine ganze Liste von Gebrechen und verbrachte zwei Wochen damit, den Knochensack gesund zu pflegen. Sie hielt die kleine Hündin in einem Korb unterm Ladentresen, was die wenigen Kunden vertrieb, die zufällig hereinschneiten. Als schokoladige Haare sprossen, gab Mair ihr den Namen Gogo: die thailändische Aussprache von »Kakao«. Gogo hatte ein Magenleiden, das eine normale Verdauung unmöglich machte. Sie fraß mehr als ich und hatte einen Schiss wie ein Büffel. Durch ihre Krankheit war sie permanent in den Wechseljahren. Aus mir unerfindlichen Gründen mochte sie mich nicht. Was auf Gegenseitigkeit beruhte.
    Somit hatte Mair im achten Monat unseres Exils bereits die nächste Generation von Nachkommen aufgezogen, über die sie mit derselben Liebe herrschte, die sie ihren Kindern angedeihen ließ. In Arny und mir wuchs die Hoffnung, dass unsere Dienste nicht mehr benötigt würden. Unsere neuen Geschwister saßen links und rechts von Mair, draußen vor dem Laden, als ich vom Internetcafé nach Hause kam. Gogo wandte mir den Rücken zu, als ich mich ihr näherte, doch das konnte mich nicht erschüttern. Ich war guter Dinge. Ich hatte meine Geschichte drei Zeitungen geschickt, und 191 war sofort auf die Fotos angesprungen. Thai Rat und Mail wollten so schnell wie möglich Anschlussartikel. Es sah so aus, als müsste ich nun nicht mehr am Recycling-Truck in der Schlange stehen und leere Flaschen und alte Zeitungen verkaufen. Es war erniedrigend, sich mit dem Müll dort anzustellen. Aber das war längst nicht das Einzige, was mir an unserem Leben missfiel. Ich wollte nicht undankbar erscheinen, dass man mir Gelegenheit gegeben hatte, in die Pampa von Maprao zu ziehen, doch nur mal so aus Spaß hatte ich eine Liste dessen aufgestellt, was mir an meinem neuen Zuhause am wenigsten gefiel.
    1. Stromausfall
    2. Der ständige Gestank nach trocknendem Tintenfisch
    3. Nachbarn, die nichts Wissenswertes zu sagen haben
    4. Die schweren Kokosnüsse, die von den Bäumen fallen, auf der Suche nach einem Kopf
    5. Flaches Wasser, so warm, dass darin prähistorische Lebensformen wachsen
    6. Das Röhren der Fischerboote um drei Uhr nachts
    7. Die unmittelbare Nähe von Reptilien
    8. Kein Telefon, also auch kein Internet
    9. Kein Nachtleben (auch kein Tagleben)
    10. Der Müll von sogenannten Nobelhotels wird an unseren Strand gespült.
    Die Originalliste enthielt sechzig Punkte, aber ich wollte nicht wie ein Klageweib dastehen, also habe ich sie zusammengestrichen.
    Meine häuslichen Pflichten waren auf einem Dienstplan eingetragen. Die Meeresfrüchte landeten unweigerlich bei mir, von Nachbarn in unserer Bucht gefangen. Für Gemüse musste ich – bis ich die Hühner dazu bewegen konnte, sich von meinem Gemüsegarten fernzuhalten –

Weitere Kostenlose Bücher