Der Tote trägt Hut
Mann, der kam und ging und kam … und ging. Das ist alles, was wir von »Dad« wissen. Keine Fotos. Keine liebevollen Erinnerungen von Mair. Nur Gene, die irgendwie nicht passen wollen.
Jedenfalls waren wir beim Obstteller und hatten den Hinnisy fast geschafft, und Major Mana lallte und hatte an Lautstärke gewonnen. Er zwinkerte dem Restaurantbesitzer zu, als er seinen Stuhl herumrückte, um mir Geheimnisse ins Ohr zu flüstern. Da er während des ganzen Essens von sich redete, musste ich nicht lügen, was meinen Wohnort anging. Er bestand darauf, unsere Drinks selbst zu mixen. Ausnahmslos hatte er doppelt so viel Brandy in mein Glas geschenkt, und ausnahmslos wartete ich, bis er abgelenkt war, und tauschte die Gläser. Zweimal hatte er mir nun schon erklärt, dass er ein Motelzimmer gebucht hatte, für den Fall, dass ich mich nach dem Essen ausruhen wollte. Galant wie ein Haufen Echsendung – ich meine, mal ehrlich: Vielleicht war er noch nie mit einer Frau essen gewesen, die weder Fell noch Schuppen hatte.
Irgendwann kam er nicht wieder von der Toilette zurück. Angesichts der Zeit, die er gebraucht hatte, um sie zu finden, war ich nicht sonderlich überrascht. Ein Penis ist viel kleiner als eine Toilette. Ich gab ihm fünf Minuten, schüttete den Rest von meinem Drink in den Eiseimer und spazierte die Hauptstraße entlang zu meinem Moped, das ich dort abgestellt hatte.
»Hattest du einen schönen Sonntag?«, fragte Mair.
»Ja, danke.«
Dabei war Samstag.
Ich konnte ihr noch immer nicht verzeihen, was sie uns angetan hatte, und war entschlossen, ein komplettes Jahr lang zivilen Ungehorsam zu üben, doch wie immer merkte ich, dass meine Bissigkeit ihre bleierne Mutterhülle nicht durchdringen konnte. Die meiste Zeit über war sie Mair – lieb, zugänglich, unfreiwillig komisch, eben die ganz normale Mair. Aber es gab auch Momente, in denen sie uns Angst machte. Es hatte mit kleinen Dingen angefangen. Beispielsweise mochte einem eine Ameisenstraße auffallen, die zu einer Kommode führte, und darin fand man dann einen offenen Karamellpudding.
»Mair, wieso steht der Karamellpudding nicht im Kühlschrank?«
»Steht er nicht?« Dann schüttelte sie den Kopf. »Das ist ja komisch. Da habe ich ihn aber reingestellt, Kindchen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wer ihn da rausgenommen hat.« Dann gab es Momente, in denen sie den Fernseher mit ihrem Handy umschalten wollte oder den lokalen Radiosender in der Mikrowelle suchte. In letzter Zeit fand ich es zunehmend sinnvoll, dass wir in den Süden Thailands und nicht in den Süden von Chicago gezogen waren. Mair schloss den Laden ab, ging ins Bett und ließ fünfzig Säcke Reis über Nacht draußen vor der Tür stehen. Ich weiß gar nicht, wieso sich eigentlich nie jemand selbst bediente.
Seit wir hierhergezogen waren, hatte Mair außerdem ungebührliche Beziehungen aufgenommen. Um unser Thailand zu verstehen, müssen Sie sich vor Augen führen, dass manches schon in der Natur der Sache liegt. Ein Politiker beispielsweise kann schon per Definition unmöglich ehrlich sein. Ehrliche Politiker haben keine einflussreichen Freunde, die ihnen über die erste Hürde hinweghelfen – den Stimmenkauf. Dann ist da die Geschäftswelt. Geschäftsleute haben keinerlei soziale Verpflichtungen. Sie sind im Geschäft, um ihr Gegenüber – wenn möglich, höflich – über den Tisch zu ziehen. Womit wir bei den Hunden wären. Täglich werden Millionen davon geboren. Nach menschlichen Maßstäben gemessen, kommt die überwiegende Mehrheit nicht mal übers Kindergartenalter hinaus. Nur die starken überleben, was bedeutet, dass schon pubertierende Hunde fies und gemein und zutiefst unliebenswert sind. Hilft man einem Hundewelpen, widersetzt man sich also dem Gesetz des Dschungels.
Irgendwas jedoch hatte sich in Mairs Herz verändert, als wir in den Süden zogen. Es war, als hätte sich Mutter Teresa ihrer Seele angenommen. In Chiang Mai war sie voll und ganz damit zufrieden gewesen, streunende Köter mit dem Besen zu vertreiben. Hier nun kam sie an keinem verkrüppelten Tier vorbei, ohne in Tränen auszubrechen. Sie blieb stehen und sprach mit ihnen. Ich meine – mit Worten. So eine Lala-Sprache, mit der man Neugeborene verwirrt. Normalerweise würde ein herrenloser Hund beim Anblick eines Menschen fliehen, aber offensichtlich hatte meine Mutter den Duft von Markknochen an sich.
Der erste Köter, den sie mit nach Hause brachte, bestand nur aus Ellbogen. Die Hündin hatte so
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