Der Tote trägt Hut
während der Militärdiktatur draußen im Dschungel versteckt hat. Ich erinnere mich, gehört zu haben, dass sie eine Weile Karaoke-Kellnerin war. Dann hat sie oben in Kanchanaburi Grapefruits angebaut und – ich glaube – Schweine gezüchtet. Am deutlichsten erinnere ich mich jedoch an ihre Zeit als Reiseleiterin. Daher stammen die meisten ihrer Geschichten. Damals lebte Oma Noi noch. Sie hat den Laden geschmissen. Opa Jah war bei der Polizei. Die beiden haben auf uns aufgepasst, wenn Mair unterwegs war. Wenn sie nach Hause kam, war es, als knipse
jemand einen Baum an, der mit bunten Lichtern übersät war. Dann erzählte sie uns Geschichten über exotische, sonderbare Orte und noch sonderbarere Leute. Sie brachte Tüten voll Süßigkeiten und Souvenirs mit, handgearbeitete Tücher, bei denen sie zugesehen hatte, wie sie gewoben wurden, Muscheln von den Inseln, Tiere aus Stroh und wunderschöne, bunte Steine. Ich besaß eine Sammlung von Erde aus allen Provinzen Thailands. Jedes Mal war es wie Neujahr, wenn Mair nach Hause kam. Dann, eines Tages, kam sie zurück und ging nicht wieder weg, und nach und nach gingen die bunten Lichter aus.
Doch ich werde nie vergessen, wie Mair über die Entschlossenheit lachte, mit der die knauserigen Fremden, die man bei uns üblicherweise »Vogelschiss« nannte, ihr Gras hüteten. Ganja wuchs hier überall, doch in der drogeninduzierten Paranoia verteidigten sie ihren Vorrat unter Einsatz ihres Lebens. Es war ziemlich Opa-Jah-mäßig von mir, davon auszugehen, dass in den Siebzigerjahren alle Welt Dope geraucht hat. Doch angesichts der Kombination aus VW-Bus, langen Haaren und Perlen halfen mir meine Vorurteile in diesem Fall vielleicht weiter. Ich fragte mich, wo unser Pärchen sein Marihuana versteckt hatte.
»Wer hat den Bus durchsucht?«, fragte ich Chompu, der gerade die Schiebetür aus dem Morast zerrte.
»Der Chef hat Senior Sergeant Major Tort hergeschickt, damit er sich mal umsieht.«
»Und der ist Forensiker?«
»Nein. Er hält unsere Bücher in Ordnung.«
»Also hat keiner so richtig …«
»Nein.«
»Und wer leitet die Ermittlungen in diesem Fall?«
»Ich.«
»Und wieso haben Sie nicht …?«
»Weil Major Mana mir den Fall gerade eben erst oben vor der Toilettentür im Flur des Polizeireviers übergeben hat. Er will ihn nicht mehr haben. Es hat sich was anderes ergeben.«
Das konnte man so sagen. Doch angesichts der Tatsache, dass sich niemand den VW-Bus richtig angesehen hatte, schöpfte ich neue Hoffnung. Das Gras. Das Handschuhfach war ein klaffendes Loch. Was von der Matratze übrig war, samt den Spuren, die sie enthielt, befand sich wahrscheinlich in einem Container hinter dem Polizeirevier. Mir blieben nicht viele Stellen, wo ich suchen konnte. Ich tastete unter dem Sitz herum und wünschte gleich, ich hätte es nicht getan. Irgendwann kam mir in den Sinn, dass sich im Laufe der Jahre dort sämtliche Körperflüssigkeiten und lose Teile gesammelt hatten. Ich würde bestimmt nicht in die Brühe abtauchen, um dort herumzusuchen. Fast wollte ich schon aufgeben, als mir die Website einfiel. Ich hatte den Fahrzeugtyp nachschlagen müssen, bevor ich meinen Bericht einschickte. Auf der Website gab es Fotos einer Restaurierung, und hinter dem Fahrersitz befand sich eine Klappe – ein Stauraum für Werkzeug oder so etwas. Die war mir in Erinnerung geblieben. Sie musste sich direkt unter der Matratze befunden haben. Ein perfektes Versteck. Ich kletterte hinter die Sitze und langte in das flache Wasser.
»Sie sehen so inspiriert aus«, sagte Chompu.
Ich fand so was wie ein Schnappschloss und ein paar rostige Knöpfe.
»Haben Sie in Ihrem Wagen irgendwelches Werkzeug, Lieutenant?«, fragte ich. »Es könnte sein, dass wir hier was gefunden haben.«
»Arny, Arny, nicht jetzt.«
Mein Bruder wollte sich mitten in der Mittagshitze daranmachen, seinen Baumstamm über den Strand zu rollen. Es nervte langsam. Es grenzte an Selbstkasteiung oder Kreuztragen. Er blieb stehen, seufzte und kam über den hellen Sand zu mir herüber. Mein Bruder war eine Kreation, die Reaktion auf ein Problem. In der Schule hatte man ihn herumgeschubst, weil er sensibel war und sein vier Jahre älterer Bruder im Unterricht Lippenstift trug. Arny spielte mehr mit Mädchen als mit Jungen, sodass es für die Schlägertypen relativ einfach war, ihn von der Herde zu trennen. Wäre meine Mutter öfter zu Hause gewesen, hätte sie ihm beibringen können, wie man sich aus Schwierigkeiten
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