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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Nonne wohnte, und hielt auf die Rückseite einer anderen Hütte zu, von der ich ahnte, dass er dort seine Beute versteckte. Weit und breit war vom süßen, pummeligen Reisbällchen nichts zu sehen. Mir war nicht zum Spielen zumute. Ich überlegte schon, ob ich meinen Flipflop zurücklassen und ohne ihn nach Hause radeln sollte, aber hier ging es ums Prinzip. Ich hatte mal den Hundeflüsterer auf Animal Planet gesehen, als nichts anderes lief. Wenn Hunde dich für schwach halten, übernehmen sie sofort das Kommando über deine Welt. Ich hatte Horrorvisionen davon, wie sie Polizeisperren durchbrachen und das Regierungsgebäude besetzten. Ich musste der Revolution hier und jetzt Einhalt gebieten. Ich ging in Stellung für einen Liegestütz und spähte in den vierzig Zentimeter hohen Hohlraum unter dem Pfahlbau. Da war es finster, aber tatsächlich starrte mich ein schwarzes Auge aus dem Dunkel an, wie von einem bösen Panda. Der Welpe gab ein wenig überzeugendes, kindliches Knurren von sich, das mich nicht erschrecken konnte. Ich knurrte zurück. Ich robbte auf dem Bauch voran, und er wich mit meiner Sandale zurück. Robben, Rückzug. Robben, Rückzug. Je weiter ich kroch, desto dunkler wurde es, also holte ich mein Handy aus der Hosentasche und machte es an. Der Bildschirm gab ein warmes, blaues Licht von sich.
    In dieser Swimmingpool-Beleuchtung sah ich Reisbällchen in einer Ecke kauern. Er zitterte. Ich kam mir richtig brutal vor. Wenn er weiter alles in sich hineinfraß, was ihm vor die Schnauze kam, wog er bestimmt bald mehr als ich, aber im Moment war er noch ein kleiner Bursche. Das Leben war nicht gut zu ihm gewesen. Kaum sechs Monate auf dem Planeten, und schon schlief er draußen in der Hunde-
hütte. Eingesperrt im Köterknast, in dem alle unartigen Straßenhunde endeten, um dort langsam zu sterben. Ich beschloss, ihn nicht mit meinem Flipflop zu verprügeln, sobald ich diesen wieder in Händen hielt. Er hatte schon genug gelitten. Aber er war immer noch einen Meter zu weit weg. Zum Glück trug ich Sachen, die ich wegwerfen konnte, wenn ich nach Hause kam, denn ich musste durch schmierigen Dreck kriechen, um zu ihm zu gelangen. Ich gab dieses Schnalzen von mir, das Hunde angeblich beruhigen soll, aber ich weigerte mich grundsätzlich, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, wie Mair es getan hätte. Ich wusste, sobald ich an ihn herankommen konnte und sein Ohr zu fassen bekam, wie die Nonne es getan hatte, dann würde er auch seine Selbstachtung wiederfinden. Dann war ich nah genug an meinem Schuh, doch das dicke Kind weigerte sich, ihn aufzugeben. Ich lief mit den Fingern auf ihn zu, aber er schnappte danach. Ich knurrte noch mal, und er zitterte. Eine klassische Pattsituation.
    Plötzlich lenkte mich ein kleines, schwarzes Ding links von mir ab. Ich schwenkte mein Handy, um es genauer anzusehen. Heureka und Helau! Es war ein Fotoapparat! Ein Stück vom Nikon-Logo war noch zu erkennen, fast abgenagt. Das Ding sah aus wie nach einer Haiattacke. Es schien mir etwas zu speziell für die normalen Leute in Pak Nam: mit langem Objektiv und Drehknöpfen und was weiß ich noch alles. Erhoffte ich mir zu viel, wenn ich mir wünschte, dass ich die verschwundene Tatortkamera entdeckt hatte? War es möglich, dass ein übergewichtiger Welpe die Kraft besaß, sie den ganzen Weg vom Betonpfad bis hierher zu zerren? Reisbällchen beantwortete die Frage selbst. Er ließ meinen Schuh los und sprang vor, um seine Kamera zu verteidigen. Er biss in das, was vom Gurt noch übrig war, und fing an, seine Beute von mir wegzuschleppen. Doch diese kleine Trophäe war mein, und – Welpe oder nicht – ich war bereit, mit ihm darum zu kämpfen.
    »Ich weiß nicht. Sie klemmt oder so.«
    »Du hättest sie der Polizei geben sollen.«
    Ich schwor mir, wenn Arny das noch einmal sagte, würde ich ihn aus dem Wagen schubsen und selbst fahren.
    »Das werde ich auch tun«, sagte ich zum wiederholten Male. »Sobald ich gesehen habe, was drauf ist.«
    »Nein, ich meine, du hättest sie der Polizei geben sollen, gleich nachdem du sie gefunden hattest.«
    Falls meine Mutter das Bemuttern je aufgeben würde, hatte ich immer noch einen Bruder, der für sie einspringen konnte. Wie war es nur möglich, dass drei Geschwister von derart unterschiedlichen Planeten kamen? Wir fuhren auf dem Highway 41 nach Surat. Die Straße verlief eintönig schnurgerade, und nur die immer wieder überraschenden Hubbel und Schlaglöcher hielten einen wach, was vermutlich

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