Der Tote trägt Hut
hinsichtlich der Grundsätze gesprochen …«
»Gestritten?«
»Eher eine philosophische Diskussion. Wir hatten schon zwei Tage über gewisse Punkte debattiert. Er spazierte gern herum, um seine Gedanken zu ordnen und dann mit weiteren Fragen zurückzukehren. Er war ein sehr logisch denkender und gerechter Mann. Er stand auf, reckte sich und erklärte mir, er wäre bald wieder da. Er wollte ein Stück auf dem betonierten Weg spazieren. Sobald er aus dem Schatten des Feigenbaums trat, richtete er seine Robe und bedeckte damit seinen Kopf. Selbstverständlich trug er keinen Hut.«
»Hat vielleicht einer der Gärtner den Hut dort liegen lassen? Er könnte ihn unterwegs aufgehoben haben.«
»Wozu?«
Gute Frage. Ich hatte keine Ahnung.
»Sie sahen den Hut also zum ersten Mal, als Sie ihn fanden?«
»Ja.«
»Was war das für ein Hut?«
»Er war von kräftigem Orange mit einer roten Blume.«
Hätte ich eine Brille getragen, hätte ich darüber hinweggeblickt, als ich ihn ansah.
»Orange?«
»Grelles Orange. Wie ein Verkehrshütchen.«
»Und die Polizei fand daran nichts Ungewöhnliches?«
»Wie gesagt, man meinte, er hätte sich das Erstbeste gegriffen, was er finden konnte.«
»Aber Sie haben denen gesagt …?«
»Ich bin tatverdächtig. Man hat sich eher dafür interessiert, was der Abt gegen mich zu ermitteln hatte.«
»Möchten Sie darüber sprechen?«
»Da gibt es nichts zu sagen.«
»Aber Sie hatten lange, philosophische Diskussionen mit einem Mann, der ermordet wurde. Alles ist relevant.«
»Philosophie hat nichts mit persönlichen Interessen zu tun. Wir haben die Theorie diskutiert.«
»Die Theorie einer Beziehung zwischen einem Mönch und einer Nonne.«
Er lächelte. Das war bei einem Abt immer ein schlechtes Zeichen. Ich sah, dass er seine Sandalen mit den Füßen umarrangierte – für eine schnelle Flucht. Gleich wäre er weg.
»Nichts davon hat Bedeutung«, sagte er und erhob sich.
»Nur eine Frage noch«, sagte ich.
»Sie müssten doch inzwischen von Antworten satt sein.«
»Eine könnte ich zum Nachtisch noch reinquetschen. Erinnern Sie sich daran, eine Kamera gesehen zu haben?«
»Wo?«
»Am Tatort.«
»Nein, aber ich war weit entfernt.«
»Sie haben sich dem Toten nicht genähert?«
»Nein.«
»Sie haben sich nicht hingekniet? Seinen Puls gefühlt?«
»Nein.«
»Woher wussten Sie dann, dass er tot war?«
Er lächelte, während er sich von mir entfernte. »Ich wusste es einfach«, sagte er.
Er schwebte so gleichmäßig über den unebenen Boden, als hätte er kleine Düsen unter den Sandalen. Hätte ich in Religion doch nur besser aufgepasst. Er wusste es einfach? Wieso? Weil er ihn ermordet hatte? Weil er mit ansehen musste, wie seine Geliebte ihn ermordet hatte? Woher weiß man, dass jemand tot ist, ohne ihn zu berühren? Ich begriff, warum die Detectives nach wie vor ihre Zweifel hatten.
Abt Kem war weg und die Nonne nirgendwo zu sehen. Ich kam zu dem Schluss, dass im wat Feuang Fa nichts mehr herauszufinden war. Ich hatte anderswo zu tun, angefangen mit einem Mittagessen, das ich kochen sollte. Einer schrulligen Familie, die ich zu versorgen hatte. Es wurde Zeit, dass ich mich wieder auf mein Fahrrad schwang und auf den Heimweg machte. Es war ein ziemlich langer Weg, aber langsam fing ich an, die Touren zu genießen. Ich spürte Muskeln, die ich schon lange aufgegeben hatte. Ich schlief die Nächte durch, nicht nur phasenweise. Bewegung tat mir gut. Langsam, aber sicher sah ich mich als Mapraos dorfeigene Agatha Christie, die auf ihrem Drahtesel herumradelte, um Verbrechen aufzuklären, und in ihrer Freizeit töpferte. Ich bückte mich nach meinen Flipflops, fand aber nur einen. Ich wandte mich dem halben Dutzend Hunde zu, die dem Abt nicht gefolgt waren und mich ansahen, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Sie waren allesamt hässlich wie die Sünde – Fellini-Hundestatisten: silbrige Glubschaugen, glänzend wunde Stellen, hier und da ein Bein zu wenig. Diese Hunde kamen in die Tempel, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Wie immer jedoch war der am unschuldigsten wirkende Verdächtige unweigerlich der Übeltäter. Reisbällchen hockte an der Ecke der Hütte, mit offensichtlicher Unschuldsmiene. Er saß auf meinem Flipflop wie auf einem Surfbrett und wollte ihn nicht kampflos aufgeben. Als ich danach griff, machte er sich aus dem Staub, mit meinem Flipflop zwischen den Zähnen.
Ich hüpfte ihm hinterher, um die Ecke herum, hinter die Hütte, in der die
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