Der Tote trägt Hut
ist meine Arbeit. Leute werden überfallen. Leute werden geschnappt. Leute sterben. Sie waren vorher nicht Teil meines Lebens. Und hinterher auch nicht. Sie waren keine Freunde. Man ist an ihrem Leben nicht beteiligt. Vielleicht kommt etwas Trauer hoch, wenn man die Hinterbliebenen interviewt. Vielleicht vergießt man sogar eine Träne des Mitgefühls. Aber es ist der schlimmste Tag im Leben eines anderen, nicht in deinem. Du schreibst deinen Bericht in nichtssagender, emotionsloser Sprache. Schriftsteller weinen in ihre Tasten. Reporter zählen Wörter und behalten die Uhr im Auge.
Als ich die Fotos auf dem bis dahin jungfräulichen Monitor von Home Art zum ersten Mal gesehen hatte, war ich natürlich schockiert gewesen. Hier wurde jemand ermordet. Ein Mönch posiert unfreiwillig für ein Foto. Schon auf dem zweiten Bild hält er die Hand hoch, als wollte er sagen: »Genug!« Seine Robe und die blasse Haut bilden einen eleganten Kontrast zu den Bougainvilleen hinter ihm. Auf dem dritten Bild betrachtet er interessiert einen Hut, der ihm gereicht wird, vermutlich vom Fotografen. Es ist ein orangefarbener Strohhut. Ein Frauenhut. Auf dem vierten Bild hält er ihn in der Hand wie eine Almosenschale. Er wirkt argwöhnisch amüsiert. Derweil klickt die Kamera immer weiter, und wieder ist die Hand des Fotografen zu sehen. Offenbar steckt sie in einem pinken Ofenhandschuh. Hält ein Messer fest. Die Klinge ist lang wie in einem Slasherfilm. Auf manchen Bildern glänzt die Nachmittagssonne auf der Klinge und verändert dadurch die Qualität der Fotos. Wir gehen mit dem Kameramann einen Schritt vor und zwingen den Mönch, den Hut aufzusetzen. Anfangs lächelt er ungläubig, doch als die Klinge seine Schulter berührt, gibt er nach. Wir treten zurück. Da gibt es ein Bild mit dem Hut, peinlich auf dem Kopf des Mönchs. Lächerlich. Aber es ist, als sei dieses eine Bild in Farbe gemeißelt. Ein erschreckendes, aber künstlerisches Foto, das Angst ausstrahlt. Damit hatte man sich Zeit gelassen.
Und dann kehren Messer und Ofenhandschuh wieder in die Bilder zurück: eins, zwei, drei, während wir uns dem Abt nähern. Da beginnt das Schlachten. Fotograf und Mörder sind ein und derselbe. Der Abt fällt auf die Knie, starrt den Mörder an, der nicht im Bild ist, wendet sich ab, als wolle er versuchen, durch die Blumenbeete zu kriechen, dann liegt er rücklings quer auf dem betonierten Weg. Die Blutlache breitet sich unter ihm aus, und dann – wie aus dem Nichts – kommt ein Hund ins Bild. Seine Augen sind rot vor Raserei. Dann ist er verschwommen, schon wieder halbwegs aus dem Bild, da kommt ein zweiter Hund und fletscht die Zähne. Er füllt das ganze Bild aus. Gleich wird er den Fotoapparat verschlingen. Dann ist da Himmel. Eine verschwommene Bewegung. Dann … nichts.
Alles in allem waren es sechsundvierzig Bilder, die den Mord an einem friedliebenden Menschen dokumentierten.
Arbeit eben.
Der Mond war in dieser wolkenlosen Nacht fast voll, und die Fischerboote waren alle zu Hause geblieben. Wie hirnlose Verliebte wurden die romantischen Tintenfische eher vom Licht des Mondes angelockt als von den trügerischen Lichtern der Boote, die sie in ihre Netze und an die Haken locken sollten. Im Mondlicht leuchtete der Strand blassgrau, doch klar und deutlich wie am Tag. Obwohl keine Farbe um mich war, konnte ich die verdammten Fotos nicht aus meinem Kopf bekommen. Sie waren noch immer viel zu laut und lebhaft. Ebenso wenig konnte ich mich von der dämlichen Theorie befreien, dass ein bedeutender Mönch ermordet worden war, weil jemandem gerade der Hut ging.
Ich glaube, ich hatte bereits erwähnt, dass ich meinen MA – meinen Master of Arts – an der Universität von Chiang Mai schon halb fertig hatte, als DIESES LEBEN IST NICHT VERFÜGBAR auf meinem Bildschirm erschien. Ein halber MA ist schließlich so gut wie gar keiner. Aber wer sollte einem schon für ein bloßes M einen Job geben? Der Kurs gehörte zu diesen Geldschneidereien, die das Bildungsministerium so sehr ins Herz geschlossen hatte. Lernen für reiche Leute. Wissen pro Kubikzentimeter. »Brauchen Sie eine Krönung für Ihren Abschluss, Madam?« Bestimmt dauerte es nicht mehr lange, bis es Automaten gab, die man mit Zehn-Baht - Münzen füttern musste, damit der Dozent weiterredete.
Jedenfalls belegte ich einen Wochenendkurs. Zwei Tage Unterricht und über die Woche Hausaufgaben. Die meisten von uns arbeiteten montags bis freitags, und somit waren da zwanzig
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