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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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andockte. Über Nacht tauschten wir die Plätze und waren uns schon wieder fremd. Ich vermisste meine spannende Mutter, lernte aber, sie als anderen Menschen zu lieben. Vor drei Jahren dann hatte sie angefangen, ihre Handtasche in die Waschmaschine zu stecken, in mein Schlafzimmer zu spazieren, überzeugt davon, dass es ihres war, und Kunden vier Fünfhundert-Baht-Scheine als Wechselgeld für einen Fünfhundert-Baht-Schein herauszugeben. Diese Risse waren selten, doch dahinter sah ich das Licht von jemandem, an den ich mich erinnerte. Von da an überraschte sie uns mit Geschichten, plapperte sie ohne Sinn und Verstand heraus. Und ihre Stimme gackerte vor Freude, wenn sie sich an einen bestimmten Ort oder eine Begebenheit erinnerte. Da gab es Lücken wie bei einem Traum, an den man sich beim Aufwachen erinnert, doch das machte ihre Geschichten nur noch geheimnisvoller.
    Als sie damit anfing, war ich begeistert und trieb sie an. Langsam, viel zu langsam jedoch, wurde mir bewusst, dass meine Mutter auf einem Laufband rückwärtsreiste, durch die Zeit, an riesigen Plakatwänden vorbei, die für Momente ihres Lebens warben. Und ich fürchtete, dass sie eines Tages auf diesem Laufband so weit gefahren sein würde, dass sie vergaß, wo sie aufgestiegen war und wer ihr dort gewinkt hatte. Jetzt – drei Jahre später – hatte sich ihr Zustand nicht verschlimmert, sondern hing in der Luft, als wäre das Laufband kaputt und Mechaniker im Blaumann lägen darunter und versuchten, es wieder in Gang zu bekommen. Und so wagte ich es manchmal, sie zur nächsten Plakatwand zu schieben. Es gab da eine, die ich unbedingt sehen wollte.
    »Vorgestern Nacht ist auf meiner Veranda wieder eine Fledermaus gegen die Glühbirne geflogen«, sagte ich. »Hat sie zerbrochen. Hat die Glasscherben einfach abgeschüttelt, ist etwas verwirrt herumgetaumelt und dann weggeflogen. Sie hatte überhaupt keine Angst. Eher wie ein Haustier. Da musste ich direkt an … Thanom denken.«
    Mair lächelte. Ich hatte die Taste für den Geheimcode gedrückt und war bereit, den verborgenen Raum zu betreten, in dem sie und mein Vater eine Fledermaus gehalten hatten.
    »Woher weißt du das?«, fragte sie.
    »Du hast es mir erzählt. Du hast gesagt, du und …«
    »Nein, ich meine, woher weißt du, dass sie verwirrt herumgetaumelt ist? Wenn sie die Birne zerschlagen hat, war es doch dunkel. Und vorgestern war es bewölkt.«
    »Ich habe ihre Schritte in den Scherben gehört.«
    »Fledermäuse sind noch nie gern gelaufen, weißt du?«
    Seht ihr, was ich meine? Wenn meine Mutter nicht neben der Spur war, dann war sie voll da. Vernünftiger als wir alle zusammen. Die Geschichte von ihrer Fledermaus würde schon irgendwann kommen. Ich stand auf, um zu gehen.
    »Könntest du vielleicht daran denken, Wasser in Johns Schale zu gießen?«, sagte sie, ohne aufzublicken. »Bestimmt hat sie Durst.«
    Später rief ich Sissi an.
    »Sis?«
    »Nong.«
    »Was macht Leather?« Ich erkundigte mich immer gern nach Leather, denn auf seine ganz eigene, seltsame, vermutlich nicht existente Weise war er ein stabilisierender Fixpunkt in Sissis Leben geworden.
    »Er ist weg.«
    »Weg?«
    »Ich habe ihn gelöscht.«
    »Was hat er getan?«
    »Er wollte Urlaub nehmen und herkommen.«
    »Oh, wie schrecklich! Ist es schrecklich?«
    »Selbstverständlich. Ich will nicht sehen, wie sie wirklich sind.«
    »Vielleicht wäre er nett gewesen.«
    »Er nennt sich Leather und peitscht online Frauen aus. Er ist entweder Fabrikarbeiter oder Busfahrer.«
    Das stimmte mich richtig traurig. Ich sähe es gern, wenn sie sich mit einem Busfahrer zur Ruhe setzen würde.
    »Und wer ist der Nächste?«, fragte ich.
    »Ich werde die Männer eine Weile aufgeben.«
    Das klang irgendwie nach mir in Pak Nam. Ich erzählte ihr von Ed und meinem vorübergehenden Abtauchen in die Homosexualität.
    »Hast du jemals daran gedacht …?«, begann ich.
    »Frauen? Machst du Witze?«, sagte sie. »Wer wollte so tief sinken? Nein, Schwesterchen, ich werde Tante.«
    Darüber musste ich nachdenken.
    »Müsste dafür nicht Arny tätig werden, oder ich?«
    »Ha! Nicht in diesem Leben.«
    »Danke für den Ausdruck deines Vertrauens.«
    »Nein, ich werde Tausenden, vielleicht Millionen ein ›alter Schwuler‹ sein. Sagen dir die Worte Cyber Idol etwas?«
    »Ich …«
    »Nein, natürlich nicht. Es ist sehr asiatisch. Fing in Korea an. Inzwischen ist es in Japan noch größer und dringt langsam gen Süden vor.«
    »Muss man dafür auch

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