Der Tote trägt Hut
Grünstreifen entlangschlenderte. Ich habe gelesen, dass sie fast drei Meter lang werden können. Man hat mir versichert, dass sie nur Insekten und kleine Nagetiere fressen, aber mir scheint, wenn man so groß ist wie ein Auto, kann man verdammt noch mal fressen, was man will.
Ich war schon bei der dritten Makrele, als ich wie ins Leere sagte: »Ich könnte noch in einem anderem Fall Hilfe brauchen.«
»Frag die Polizei«, erwiderte Opa Jah.
»Hab ich schon. Die wissen nicht weiter.«
»Das ist ein Zustand, der ihnen vertraut sein sollte.«
Ich äußerte der heißen Mittagbrise gegenüber, dass ich Gelegenheit gehabt hatte, der Ausgrabung eines VW-Busses beizuwohnen, und beschrieb daraufhin alles, was sich aus diesem Ereignis ergeben hatte. Beim letzten Fisch war ich am Schwanz der Geschichte angekommen. Sehr lange sagte er nichts, und langsam machte die Makrele in der Hitze keinen so guten Eindruck mehr. Ich fragte mich, ob der alte Mann mich überhaupt gehört hatte. Ich stand auf.
»Setz dich hin«, sagte er.
Ich setzte mich.
»Du musst den damaligen Detective finden«, sagte er. »Den Mann, der diese Autodiebstähle untersucht hat.«
»Ich weiß seinen Namen«, erklärte ich. »Er heißt Waew. Er war Captain. Inzwischen ist er pensioniert.«
Er wandte sich mir zu und sah mich an, als gäbe es für mich auf dieser Welt doch noch einen Hoffnungsschimmer.
»Dann finde ihn«, sagte er.
»Hab ich schon.«
»Und?«
»Er will nicht mit mir reden.«
»Setz die Polizei darauf an.«
»Mit denen will er auch nicht reden. Ich glaube, er sagte irgendwas von: ›Ihr seid eine Bande korrupter Schweinehunde.‹ Dann hat er aufgelegt.«
Ich hätte vielleicht nicht mein Erspartes darauf verwettet, aber möglicherweise brachte es Opa Jah zum Lächeln. Hätte ich doch nur einen Fotoapparat dabeigehabt.
»Der scheint in Ordnung zu sein«, sagte er.
»Ich dachte mir schon, dass du ihn mögen würdest. Möchtest du seine Adresse?«
»Na gut.«
»Essen in einer halben Stunde.«
»Mair. Haben wir den Sünder in unserer Mitte denn nun gefunden?«, fragte ich. »Ihn, dem vergeben werden soll?«
»Noch nicht«, sagte sie.
Ich war in ihrer Hütte, und wir schrieben per Hand Speisekarten für das Restaurant. Unsere Ferienanlage stand mittlerweile wieder leer, nachdem am Nachmittag unsere Vogeldame offiziell ausgeflogen war.
»Du sagst mir doch Bescheid, wenn es so weit ist, oder?«, fragte ich. »Ich möchte wirklich gern wissen … an wem wir uns nicht rächen werden.«
»Ich sag dir Bescheid«, antwortete sie geistesabwesend.
Ich sah ihr dabei zu, wie sie kleine Klebebilder von Fischen in die Ecken der Speisekarten klebte. Meine Mutter. Während der Highschool hatte ich sie zeitweise nicht gemocht. Doch während meine Klassenkameraden ihre Mütter nicht mochten, weil diese in ihrem Leben allzu anwesend waren, verfluchte ich meine wegen ihrer ständigen Abwesenheit. War sie zu Hause, kam es einem vor, als wäre man vollständig mit ihrer Welt verkabelt. War sie weg, saß man da und starrte die leere Steckdose an: Oma Noi saß da und zählte immer wieder das Geld in der Kassenschublade, Opa Jah erweiterte seinen Wortschatz an Grunzlauten.
Vermutlich lag es an Mairs Abwesenheit, dass ich so viel lernte. Ich versuchte nicht, sie zu beeindrucken. Ich versuchte, eine Qualifikation zu erlangen, die es mir ermöglichen würde, bei ihr zu sein, ihre persönliche Assistentin, die wie ein schlauer Caddy ihre Trickkiste schleppte. Mit sechzehn wusste ich dann, was ich werden wollte. Konnte ich nicht als Journalistin am besten über den Tellerrand sehen? Ich las sämtliche Tageszeitungen, die wir im Laden führten, thailändische und englische. Es war ein perfekter Einstieg. Ich musste sie nicht bezahlen. Ich sah mich meine Mutter interviewen, die geheimnisvollen Untiefen ihres Lebens ausloten. Mair: ein Special Feature. Meine Mutter, enttarnt. Ich fiel in einen metaphorischen Trott, um diese zähen Studienjahre zu überstehen, damit ich äußerlich der Mensch sein konnte, der ich innerlich schon war. Und ich trottete dabei so zügig, dass ich die nicht mehr ganz junge Frau beinah übersah, die in die entgegengesetzte Richtung schlenderte.
»Mair, bist du da?«
Sie hatte ihr Rennen hinter sich. Ihre Trickkiste war ausgekippt, und sie hatte keinen Enthusiasmus mehr. Selbst ihre Geschichten wurden grau, als sähe sie ihr Leben nicht mehr wie früher in Technicolor. Ich startete aus der Raketenluke, als sie gerade wieder
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