Der Tote trägt Hut
singen und sich von Produzenten erniedrigen lassen, die selbst kaum Talent haben?«
»Kein Stück. Es ist die ultimative Self-Style-Website. Stell dir junge Mädchen vor, die aussehen wie, sagen wir … du, und man stellt eine Homepage ins Netz, bei der die Mädchen ihre Fotos hochladen können. Aber auf dieser Seite gibt es Make-up und Frisuren und – pass auf – Photoshop-Tipps, wie man online absolut atemberaubend aussieht. Es gibt keine Regeln. Man darf alle Tricks anwenden, um rattenscharf auszusehen. Dann meldet man sich bei Online-Schönheitswettbewerben an, das Webpublikum stimmt ab, wer ihm am besten gefällt, und da ist es völlig egal, ob alle wissen, dass du eigentlich schlimm aussiehst. Es geht nur darum, was man tun kann, um den Eindruck zu vermitteln, dass man was hermacht. Und dasselbe gibt es für Männer: die Frisur, die Pickelentfernung, die Korsetts, das Airbrushing, und am Ende hat man diese süßen Kens und Barbies, die sich im Web verabreden.«
»Klingt irgendwie traurig.«
»Es ist wundervoll!«
»Es ist nicht echt.«
»Es ist besser als echt. Es ist total ehrlich. Alle wissen, dass sie unattraktiv sind, aber sie können dieses Leben als schöne Menschen leben.«
Es klang kein bisschen ehrlich.
»Wie passt du da rein?«, fragte ich.
»Ich kenne die Genies, die diese Website unterhalten. Sie wollen mich als Style-Guru. Ich gebe Tipps, wie man sich kleiden, bewegen und vor Webcams präsentieren sollte.«
»Bezahlen sie dich dafür?«
»Du weißt doch, dass ich immer für einen guten Zweck spenden wollte, aber nie den richtigen finden konnte. Tja, das ist er jetzt. Ich mache es pro bono.«
»Ein sehr guter Zweck.«
Und eine angemessene Wahl für einen Guru. Tante Sissi ermutigte eine ganze Generation leerer Menschen, so zu tun, als wären sie etwas, was sie nicht sind. Der Gedanke daran deprimierte mich. Nach weiteren zwanzig Minuten gelang es mir, unser Gespräch auf das Verbrechen zu lenken.
»Sissi, hast du irgendwelche moralischen Bedenken dagegen, dich in den Computer des DRA zu hacken?«
»Das ist das Drogen… Rehabilitations…?«
»Dezernat für Religiöse Angelegenheiten.«
»Oh, absolut nicht.«
Ich brachte sie auf den neuesten Stand im Feuang-Fa-Fall und erklärte ihr, was ich herausfinden musste.
»Meinst du, du könntest mir morgen Abend schon Bescheid geben?«, fragte ich.
»Ich kann dir aus Erfahrung sagen, dass religiöse Websites leicht zu knacken sind. Jeder Affe könnte ins innerste Heiligtum vordringen. Die meinen, sie bräuchten keinen Schutz, weil eine Höhere Firewall sie schützt. Es ist ein wahrer Spielplatz für Agnostiker. Möchtest du, dass ich ein paar mystische Symbole hinterlasse, um sie zu verwirren?«
»Nein, eine kleine Stippvisite würde genügen. Danke.«
Als ich auflegte, war es halb elf, eine halbe Stunde nach meiner üblichen Schlafenszeit. Eben wollte ich unter die Dusche und mich verzweifelt im großen Spiegel betrachten, als mein Handy wieder ging. Ich hatte vergessen, es abzustellen.
»Hallo?«
»Kleine Journaille? Sind Sie noch wach?«
»Chompu? Was ist los? Sind Sie einsam?«
»Kaum. Ich bin von uniformierten Männern umgeben.«
»Fantasieren Sie?«
»Nein, ich telefoniere über die Freisprechanlage. Wir dachten gerade, ob Sie vielleicht mal rüber ins Revier kommen könnten.«
»Was? Jetzt?«
»Es gab da einen Zwischenfall.«
Kapitel 10
»… die Sturmwolken am Horizont waren fast direkt über uns.«
George W. Bush
Washington, D. C., 11. Mai 2001
A rny und ich trafen um zehn vor elf bei der Polizeistation von Pak Nam ein. Seit Langem hatten wir die Vereinbarung, dass er mitkam, wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit wegmusste und nicht zu einem Date ging – drei in den letzten drei Jahren. Er tut so, als hätte er Angst, dass mir der Pick-up geklaut wird, aber ich weiß genau, wenn er nicht mitkäme, würde er die ganze Nacht wach liegen und sich Sorgen um mich machen. Mair ist es gelungen, uns alle auf ganz eigene Weise sonderbar zu machen, aber sie hat uns auch einen tiefen Sinn für Loyalität vermittelt. Wir näherten uns dem Empfangstresen, und ein Sergeant – krumm wie eine Bambuswurzel – saß dahinter auf einem Hocker. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Er wirkte nervös.
»Ich bin …«, setzte ich an, doch er winkte uns durch, ohne ein Wort zu sagen.
Überall waren Polizisten, die ich nicht kannte, und ich dachte schon, der Laden hätte den Besitzer gewechselt, doch dann sah ich, wie Constable Ma Dum aus
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