Der Tote trägt Hut
Kim-Il-Sung-Safarianzug samt Baseballkappe trug. Ich wusste nicht, ob er meinetwegen auf den Balkon gekommen war oder ob er schon den ganzen Tag dort stand und sein Prothesenlächeln und dieses Winken übte, das aussah, als tippte er auf einen Taschenrechner ein. Ich hatte natürlich vorher angerufen. »Freie Journalistin schreibt Serie über unvergessliche Politiker.« Ich wäre nicht warmherziger empfangen worden, wenn man mich nackt auf einer Matratze aus Tausend-Baht-Scheinen hereingetragen hätte.
» Nong Jimm?«, rief er.
Nong war dazu angetan, einem auf den Schlips zu treten, wenn man gar kein jüngerer Verwandter war. Es galt Kellnern und Putzfrauen und Straßenkindern und machte einen zu etwas, das man nicht sein wollte. Bei einem Mann von seinem Ansehen jedoch bedeutete es rein gar nichts.
» Tan Sugit«, quiekte ich.
Tan war superschleimig. So weit von Nong entfernt wie die Slums von Klong Tuey vom Ginza. Nachdem ich durch alle überflüssigen, mir dargebotenen Reifen gesprungen und über eisbrechende Trümmer geklettert war, saß ich neben ihm auf einer endlosen braunen Ledercouch in seinem Wohnzimmer. Aus der Nähe sah ich, dass der eine oder andere Schönheitschirurg an Tan Sugit herumgewerkelt hatte. Er konnte seinen Mund bewegen, aber das war nördlich vom Hals so ziemlich alles. Seine Knopfaugen zwinkerten nicht, und seine Wangen blieben starr, wenn er lächelte. Sein Gesicht war statisch wie ein Fachwerkhaus.
Mein treuer, alter Kassettenrekorder stand zwischen uns. Ich hätte den digitalen Weg beschreiten können, aber ich sah gern zu, wie sich die Spulen drehten. Ich testete ihn: »One-two, one-two«, auf Englisch, um meine internationalen Referenzen zu untermauern, dann begann ich das Interview. Ich hatte die Absicht, nicht direkt mit der Frage ins Haus zu fallen: »Haben Sie zwei Hippies ermordet und sie begraben, weil sie gedroht hatten, Ihre kriminellen Machenschaften zu verraten?« Das würde später kommen. Es sollte eine erste Begegnung zum Kennenlernen sein. Als beinah preisgekrönte Journalistin musste ich unparteiisch bleiben und mit ihm sprechen, als hätten ihn Menschen großgezogen und nicht Aale. Als Pressevertreterin blieb man passiv und sprach mit seinem Interviewpartner, ohne sich dabei vorzustellen, wie man den Schoß seines hellblauen Safarianzugs in den Eisstampfer einer Fischfabrik schob. Man gab sich professionell.
Während des gesamten Interviews beobachtete ich ihn, und immer wieder kam mir die Frage in den Sinn: »Wie wird ein kleiner, übergewichtiger Mann, der offensichtlich nicht in der Lage ist, sich mit den eigenen Fäusten zu wehren, dermaßen einflussreich?« Die Antwort lautete – wie immer: »Geld!« Er stank förmlich danach. Nach einem kurzen Abriss seiner frühen Jahre war ich in Surat angekommen, im Jahr 1978. Demonstrativ warf ich einen Blick auf mein Klemmbrett.
»Soweit ich weiß, hatten Sie Ende der Siebziger mit Autovermietungen zu tun«, sagte ich. Es war nur eine unter vielen Fragen auf meiner Liste, und ich hob sie nicht sonderlich hervor. Sein Lächeln streckte sich bis an seine Grenzen. Ich fürchtete schon, gleich könnte eine Naht platzen, von der Wange bis rauf zu seinem kahlen Schädel. Ich würde Zeugin werden, wie ihm alles aus dem Gesicht fiel. Aber es hielt.
»Ich weiß nicht, woher Sie das haben«, sagte er. »Ich hatte damals mit einer ganzen Reihe von bahnbrechenden Unternehmungen zu tun, aber Autovermietung gehörte nicht dazu.«
Eine übergewichtige Mittfünfzigerin mit kurz geschorenen, blutrot gefärbten Haaren brachte uns Kaffee auf einem Tablett. Sie war ganz in Weiß gekleidet wie eine späte Judoschülerin, die noch keinen Gürtel hatte. Er ignorierte sie, und daher wusste ich, dass sie entweder eine Dienstmagd oder seine Geliebte war. Eine Ehefrau hätte er mir vorstellen müssen.
»Tatsächlich?«, fragte ich.
»Ich glaube, das müsste ich wissen.«
Ich blätterte zur vorherigen Seite auf meinem Klemmbrett.
»Hier steht, 1978 sei es zu einem beunruhigenden Zwischenfall gekommen, als es hieß, Ihre … Firma sei am Diebstahl von Mietwagen beteiligt. Meinen Unterlagen entnehme ich, dass Sie einige Zeit im Gefängnis gesessen haben.«
Er lachte wieder, oder zumindest lachte sein Mund. Da sein Gesicht kein Mienenspiel zuließ, konnte ich auch nicht nach Hinweisen auf Schuldgefühle Ausschau halten.
»Nong« , sagte er mit seinem tiefen Bariton, »bei einem Mann von meinem Ruf ist zu erwarten, dass neidische
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