Der Tote trägt Hut
der Suche nach Kem.«
»Ist das nicht zu schön?«
In diesem Moment hätte ich nie zugegeben, dass ich Tränen in den Augen hatte, und ich wusste, dass auch Sissi kein Wort über ihre Tränen verlieren würde.
»Und wann sind sie dann wieder zusammengekommen?«, fragte ich und schniefte leise.
»Vor vier Monaten kam sie im wat Feuang Fa an.«
»Irgendwelche Angaben dazu, ob sie sich in den Jahren dazwischen getroffen haben?«
»Nichts.«
»Dann findet sie ihn schließlich und weigert sich zu gehen, und er akzeptiert sie als Nonne in seinem Tempel, bis der Sangha- Agent an die Tür klopft.«
»Ironie des Schicksals, oder?«
»Aber sie hat doch gesagt, sie hätten Kontakt gehalten – Briefe, Anrufe …«
»Kein Hinweis darauf.«
»Und wie hat sich der Mönchsrat den Mord erklärt?«
»Die glauben, dass der Abt aus Bangkok in Maprao ankam und der Nonne gesagt hat, sie müsse gehen. Und dass sie ihre große Liebe dreißig Jahre lang gesucht hat und nicht kampflos aufgeben wollte.«
»Deshalb metzelt sie ihn mit einem Tranchiermesser?«
»So sehen sie es.«
»Das war nicht so.«
»Kann sein, aber das ist die Version, die sie an die Polizei weitergeben.«
Ich hatte die Fotos gesehen. Ich sah darin nicht das Werk einer Frau mit gebrochenem Herzen. Die Tat war vorsätzlich, kühl, nicht hitzig. Es war kein Verbrechen aus Leidenschaft.
»Sissi, da stimmt irgendwas nicht.«
»Vielleicht, aber meinst du nicht auch, dass es einen tollen Film abgeben würde?«
Ich überlegte.
»Ja«, antwortete ich.
»Ich könnte die Hauptrolle spielen.«
»Den Abt?«
Stille schwappte wie Tadel aus meinem Hörer. Ich vergesse manchmal, wie empfindlich der Abzug war, an dem ihr Zeigefinger ruhte. Man wusste nie, was ihn zum Zucken brachte.
»Es sollte ein Scherz sein«, sagte ich.
Zunehmende Stille. Ich rechnete schon mit einem Klicken und dem Seufzen einer toten Leitung.
»Komm schon, Sis. Lach doch mal!«
»Nicht komisch.«
»Ich weiß. Tut mir leid. Aber wenn dieser Film mit Clint funktionieren soll …«, wir waren beide glühende Verehrerinnen von Clint Eastwood – wir hatten alle seine Filme auf schwarzgebrannten DVDs gesehen –, na gut, vielleicht verehrten wir ihn doch nicht so sehr, dass wir zu seinen Tantiemen beitragen wollten, aber wir mochten ihn, »… darf Schwester Bia nicht auf dem elektrischen Stuhl enden.«
»Sie würde die Todesspritze bekommen.«
»Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?«
»Ich weiß noch nicht genau.«
Während der folgenden zehn Minuten, bis mein Akku leer war, erzählte ich meiner Schwester von dem Vorfall mit der Kamera und beschrieb ihr die Fotos. Ich glaube, sie hat das meiste mitbekommen. Als ich aufstand, klebte das Styropor wie ein Sattel an meinem Hintern. Ich weiß nicht, ob es an der Hitze lag, die ich da unten ausstrahle, oder ob irgendwie Kautschuk vom Baum getropft war, aber ich brauchte ganze fünf Minuten, um mich zu befreien. Es wäre doch eher unschicklich gewesen, einem ehemaligen Umweltminister mit einem Styroporblock am Hintern meine Aufwartung zu machen.
Das Schild, auf dem stand, dass sich hier die Zentrale der Awuso Foundation befand, war an einen stabilen Betonpfeiler geschraubt, gleich neben einem prunkvoll ziselierten Eisentor, das über mir aufragte. Das einstöckige Haus glich einer Hochzeitstorte mit Zuckerguss, römischen Säulen und Erdbeerbesatz. Mit feuchtem Finger tippte ich an das Tor, für den Fall, dass es unter Strom stand. Die Glasscherben oben auf der vier Meter hohen Mauer hatten mich auf die Idee gebracht, doch mein Finger schrumpfte nicht zu einem Wurststummel. Ich investierte etwas mehr Kraft in das Tor und stellte fest, dass das Riesending mühelos auf Gummirädern lief. Tatsächlich war es so gut geölt, dass es immer weiterrollte und ich ihm hinterherhetzen musste, damit es nicht im reich verzierten Blumenbeet landete.
Mittlerweile spürte ich Blicke. Bei der Zählung fand ich sechs Augen, die auf mich gerichtet waren und Gärtnern in militärischen Tarnanzügen gehörten, die mit Schläuchen und Hacken bewaffnet waren, aber nur herumstanden wie Statisten. Zwei weitere Augen beobachteten mich von einem Balkon im oberen Stockwerk aus. Ich nahm an, dass sie dem Mann gehörten, den ich hier besuchen wollte – Sugit Suttirat. Sie lagen tief in einem kleinen Schweinskopf, der auf einem fleischigen Körper saß. Es war, als betrachtete man die Unterseite einer Schildkröte, nur dass diese Schildkröte einen
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