Der Tote trägt Hut
ein orangefarbener Hut?«
»Meinst du, du könntest deinen Zynismus etwas runterdimmen? Ich war die ganze Nacht wach, auf der Suche nach diesem Scheißhut.«
Ich hatte die Bestie losgelassen, da sollte ich ihr vielleicht wenigstens bis zum Ende zuhören.
»Okay. Tut mir leid.«
»Toshi.«
»Gesundheit.«
»Mein japanischer Detektiv. Schwarzer Judogürtel. Olympiamedaille und osteuropäischen Frauen zugetan.«
Ach, wie süß. Zwei virtuelle Menschen hatten einander gefunden.
»Er hat auf meine Suchanfrage ›ungeklärter Mord – unpassender Hut‹ geantwortet. Sein Englisch war fürchterlich, aber das hat er mit seinem Enthusiasmus ausgeglichen. Er meinte, es war sein rätselhaftester Fall. Eine japanische Firma baute auf Guam ein Zwei-Millionen-Yen-Hotel.«
»Umgerechnet etwa fünfzig Dollar.«
»Okay, ich weiß nicht, vielleicht auch zweihundert Milliarden Yen – ein sehr teures Hotel, zwanzig Stockwerke, entworfen von einem berühmten Architekten. Einer der japanischen Poliere, der die lokalen Bauarbeiter anleiten soll, fällt vom Dach des fast fertigen Hotels, direkt in den leeren Swimmingpool. Ein Unfall, wie alle annehmen, bis der Gerichtsmediziner eine kleinkalibrige Kugel im unteren Rückenbereich findet.«
Langsam wurde ich ungeduldig. Die Gestalt am Strand war unverkennbar meine Mutter in ihrem Ninja-Kostüm.
»Kommt demnächst der unpassende Hut?«, fragte ich.
»Das war das Verwirrende. Etwas, das niemand erklären konnte. Du kennst die Japse mit ihren Anzügen, in denen alle gleich aussehen. Die Baufirma hatte ihre eigene, sehr auffällige Uniform: leuchtend grüne Overalls mit weißen Helmen. Kein modischer Schnickschnack. Keinerlei Individualität. Sie waren Japaner, und alle waren sie an diesem Morgen gemeinsam mit dem Bus gekommen. Doch als der Vorarbeiter in den Pool fiel, trug er einen Helm in grellem Orange. Und weißt du, wieso?«
»Rebellion?«
»Jemand hatte seinen Helm leuchtend orange angesprüht, während er ihn noch trug.«
»Er hat es nicht selbst gemacht?«
»Die Farbe war in seinen Augen und um den Hals. Keine Spur von einer Dose. Der Sprayer hat sie mitgenommen. Und der Mörder wurde nie gefunden.«
Es war seltsam und irrelevant, und ich war genervt, weil ich so früh geweckt worden war und mir das alles anhören musste.
»Das ist super, Sis. Danke.«
»Du klingst nicht gerade begeistert.«
»Doch, bin ich. Aber auch müde. Lass uns an der Sache mit dem Hut dranbleiben. Gute Arbeit. Hör zu, hier warten schon alle sehnlichst aufs Frühstück. Ich muss auflegen. Wir reden später.«
Schlechter Anfang für den Tag: verkatert, langes, blödes Telefonat, Mutter führt nichts Gutes im Schilde. Es konnte nur besser werden.
Tat es nicht.
Vor dem Küchenblock saß ein kleiner Mann auf einem sehr alten Motorrad. Er wog so wenig, dass vermutlich nur sein dicker, goldener Helm verhinderte, dass er während der Fahrt aus dem Sattel geweht wurde. In der Hand hielt er einen braunen Umschlag.
»Sind Sie Koon Jum?«, fragte er.
»Jimm.«
»Ist wahrscheinlich trotzdem richtig.«
Er reichte mir den Umschlag und fuhr wieder los. Ich war nicht geistesgegenwärtig genug, ihn zu fragen, woher er kam und warum er zu derart unmenschlicher Uhrzeit hierhergefahren war, um etwas abzugeben. Als ich meine Fragen in Worte gefasst hatte, war er schon weg. Auf dem Umschlag standen tatsächlich die Worte » Koon Jum, Lovely Resort « mit dickem Filzer. Ich setzte den Kessel auf, um Wasser heiß zu machen, dann öffnete ich den Umschlag. Er enthielt schlichte, schwarz-weiße Wahlwerbung. Vorn war ein Bild von einem grinsenden Kandidaten mit einer großen Rosette auf der Brust. Das Flugblatt war sehr alt, das Papier löste sich beinah am Knick. Hätte der Name nicht darauf gestanden, hätte ich den Mann niemals erkannt. Es war das entschieden jüngere, unbearbeitete Gesicht von Tan Sugit neben der großen, handschriftlichen Ziffer Drei. Solche Dinger verteilten Wahlhelfer persönlich in den Dörfern.
»Hier hast du zwanzig Baht. Das ist die Nummer, die du wählst. Wenn du es nicht tust, merken wir es und kommen wieder.«
Das Einzige, was sich seit damals verändert hatte, war der Preis für eine Stimme. Heutzutage konnte man bis zu fünfhundert Baht dafür bekommen. Ich drehte den Zettel um, und auf der Rückseite standen in krakeliger Handschrift die Worte: »Fragen Sie seine Tochter nach dem VW.« Es war mit wässriger Tinte geschrieben, die an den Rändern braun getrocknet war. Ich war
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