Der Tote trägt Hut
wirklich nicht in der Stimmung für Geheimnistuerei.
Das Frühstück fiel schlicht aus. Unsere Gäste hatten es aufgegeben und waren früh abgereist, um irgendwo anders zu essen. Wir konnten das nicht. Wir waren gefangen. In den meisten Familien machte sich jeder selbst was, wenn sie zwischen Bett und Arbeit hin- und herhetzten: Reisporridge, schnell einen chinesischen Donut, irgendwelches Trockenfleisch, ein Plastikbeutel warme Sojamilch für unterwegs. Doch Mair bestand darauf, dass wir alle gemeinsam frühstückten, dass wir an einem unserer Tische saßen und miteinander »redeten«. Bisher war der Ansatz nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Meist beugten wir uns morgens nur über unsere Teller und futterten uns für den Tag voll. An diesem jammervollen Sonntag allerdings hatte Arny etwas bekannt zu geben.
»Ich habe eine Freundin«, sagte er, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Wir glotzten ihn alle an, die Löffel und Gabeln auf halbem Weg erstarrt, manche voll auf dem Weg nach oben, manche leer auf dem Weg nach unten, aber alle starr. Seit vielen Jahren hatten wir auf eine solche Erklärung gewartet. Wir hatten ihn ermutigt. Ich hatte ihm in der Schule Mädchen vorgestellt. Doch als er dann dreißig wurde, waren wir zu dem Schluss gekommen, dass eher Amerika einen afroamerikanischen Präsidenten bekam als Arny eine Freundin. Insgeheim hatten wir alle angenommen, dass er etwas von Sissi in sich hatte, was er zu unterdrücken versuchte. Ich gab unserem abwesenden Vater die Schuld für seinen Mangel an männlichen Hormonen. Wir hatten es allesamt aufgegeben.
Mair ließ ihren Löffel sinken, sprang von ihrem Stuhl auf und schlang die Arme um ihren Jüngsten.
»Oh, mein Junge«, sagte sie. »Ich bin so froh für dich. Gut gemacht. Gut gemacht.«
Mir reichte es, über den Tisch zu langen und ihm die Hand zu schütteln. Ich war nach wie vor misstrauisch. Opa Jah sah aus wie Gevatter Tod persönlich und glotzte ihn ungläubig an.
»Schöne Sache, Nong «, sagte ich. »Wer ist die Unglückliche?«
Mair kehrte mit feucht glänzendem Gesicht zu ihrem Platz zurück.
»Sei nicht so gemein«, sagte sie. »Wie heißt die junge Dame, Kleiner?«
»Gaew«, sagte er und strahlte noch immer vor Stolz.
»Und was macht sie?«
»Früher war sie Bodybuilderin. Ich hab sie im Kraftraum in Bang Ga kennengelernt. Sie drückt noch Gewichte, macht aber keine Wettbewerbe mehr. Wer hätte das gedacht? Eine kleine, hölzerne Sporthütte auf dem Lande, und ich finde jemanden wie Gaew. Ich habe sie gleich von den Fotos wiedererkannt.«
»Was für Fotos, Junge?«, fragte Mair.
»In Body Thai .«
»Sie war in einer Zeitschrift abgebildet?«
»Nicht nur abgebildet. Es gab regelmäßige Artikel über sie. Auch international. Sie war eine Berühmtheit.«
»Und sie wohnt in Bang Ga?«, fragte ich. Noch war ich nicht im Gänsehaut-Stadium, aber ich spürte deutlich das Prickeln einer dunklen Ahnung.
»Auch Prominente sind irgendwo geboren«, rief Arny mir in Erinnerung. »Ihre ganze Familie lebt hier. Ich war schon bei ihr zu Hause. Alles voller Preise. Alles voller Fotos. Es war wie ein Museum. Alles, was ich mir je erträumt habe. Sie hat mir beim Mittagessen alle ihre Geschichten erzählt.«
»Du hast also mit ihr gegessen?«, fragte Mair.
»Zweimal schon. Gestern habe ich sie nach Lang Suan ausgeführt. Wir haben viel geredet. Als wir zu ihr nach Hause kamen, war keiner da. Fast hätten wir Sex gehabt.«
Opa ließ seinen Donut fallen. Mair lachte laut auf.
»Arny«, sagte ich erstaunt. »Wir sind hier beim Essen. Und du wolltest doch das große J erst verlieren, wenn du das große L gefunden hast, oder?«
»Oh Jimm, wirklich! Das ist es ja gerade!«, sagte er. »Das Herz bleibt stehen und alles. Ich weiß, dass sie die Richtige ist. Ich will sie fragen, ob sie mich heiratet.«
»Ach Kleiner«, sagte Mair. »Du bist inzwischen ein großer Junge, aber es gibt keinen Grund zur Eile. Glaub mir. Wie lange kennst du sie denn schon?«
»Drei Tage.«
»Drei Tage, okay. Wenn es also nach drei Tagen schon Liebe ist, dann ist es das auch noch nach drei Monaten. Keiner von uns sollte überstürzt Verpflichtungen eingehen. Ich freue mich, wirklich. Aber Leidenschaft ist wie ein Ei. Man muss warten, bis es ausgebrütet ist, bevor man sagen kann, ob es Huhn oder Hahn wird.«
Mair kannte sich mit Redensarten aus.
»Und wie denkt Gaew darüber?«
»Sie empfindet genauso. Sie sagt, in dem Moment, als sie mich gesehen hat, hat
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