Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
ein Zusatzverdienst. Als Restauratorin verdiene man nicht gerade üppig. Dann kam sie sofort zur Sache.
»Ich habe Sie gestern auf dem Friedhof gesehen. Fiorilla hat mir erzählt, daß Sie auch mit ihr gesprochen haben«, sagte sie und musterte ihre Besucherinnen aufmerksam. »Was möchten Sie von mir wissen? Sie möchten doch etwas von mir wissen, nicht wahr?«
Marlen ließ ihren Spruch über das unterirdische Neapel und die Kontakte zur LAES los. Sie erwähnte Dante. Sie sagte, ein gemeinsamer Bekannter habe ihr vor ein paar Tagen die Gänge unter der Stadt gezeigt, Salvatore delle Donne. Genug Bezugspunkte, wie sie fand.
»Dante? Wie lange ich den nicht gesehen habe.« Agnese di Napoli zeigte sich aufgeschlossen. Sie sagte, sie selbst habe jahrelang bei der LAES mitgearbeitet, ein interessantes Projekt, die Erforschung der unterirdischen Gänge. Leider fehle ihr für derartige Abenteuer mittlerweile die Zeit. Leider, das war einmal…
»Jede Lebensphase entspricht irgendeinem Faszinosum, einer Manie, einem Projekt, mit dem man mehr verbindet als reinen Zeitvertreib. Sie kennen das sicherlich auch.« Sie lächelte. Ein Augenaufschlag voller Wärme und Verbindlichkeit.
Livia fragte, was die Untergrundforschung abgelöst habe?
»Die Arbeit«, sagte Agnese di Napoli mit einem ironischen Unterton. »Schlicht und überhaupt nicht ergreifend. Und was treiben Sie?«
»Ich bin Malerin«, sagte Livia schlicht.
Agnese di Napoli zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Fiorilla sagte mir, Sie seien Journalistinnen.«
»Meine Freundin«, korrigierte Livia.
»Und von der Malerei können Sie leben?«
»Nein.« Livia zögerte. Vielleicht war es zu riskant, Agnese zu sagen, womit sie ihr Geld verdiente. Sobald Agnese es wußte, würde auch Fiorilla davon erfahren. Und auf der Hut sein. Und sie mit Sicherheit nicht mehr ins Haus lassen. Andererseits … Nach dem Zwischenfall mit den Reifen reizte es sie ungemein, die Geschichte voranzutreiben, ein wenig im offenen Feuer zu stochern und zu sehen, ob ein Funke übersprang und die Dinge vorantrieb. »Ich arbeite in der Kulturbehörde in der Dokumentation Kunstdiebstahl.«
»Ach ja?« Agnese di Napoli zog erneut die Augenbrauen hoch. »Wie interessant. In den Kirchen wird ja so viel gestohlen. Wir befürchten manchmal sogar, daß zum Restaurieren nichts mehr übrigbleibt. Aber zum Glück gibt es ja in Neapel genug Kirchen, da geht uns die Arbeit nicht aus. Und Ihnen wahrscheinlich auch nicht«, fügte sie hinzu. »Aber, soweit ich weiß, werden nicht viele Werke wiedergefunden, oder?«
»Leider«, nickte Livia. »Aber es scheint ein Zusammenhang zu bestehen zwischen den Diebstählen und dem Restaurationsbeginn in den betroffenen Kirchen.« Sie war gespannt, wie Agnese di Napoli reagieren würde. »Wenn eine Kirche restauriert wird, ist beinahe durchweg nach kurzer Zeit ein Schwund in Mobiliar und Ausstattung zu registrieren. Seltsam, finden Sie nicht auch?«
Agnese di Napoli sah sie an. Sie zögerte mit einer Antwort. Schüttelte dann den Kopf. »Das wundert mich überhaupt nicht«, sagte sie nach einer Weile. »Sobald eine Kirche restauriert wird, steht sie tagsüber offen und ist nicht mehr verriegelt und verrammelt wie zuvor.« Dann runzelte sie die Stirn. »Oder wollen Sie damit etwa sagen, daß die Restauratoren selbst unter Verdacht stehen …?«
Livia verzog keine Miene. »In der Abteilung, in der ich arbeite, geht es nur um die Dokumentation. Wir stellen keine Nachforschungen an – und wir verdächtigen niemanden.«
Agnese nickte und wandte sich nun – Themenwechsel – an Marlen. Um ihre Beunruhigung zu verbergen, dachte Livia. »Aber Sie sind wirklich Journalistin?«
Marlen bejahte. »Und um auf die Lebensphasen zurückzukommen: Auch ich bin alleinerziehend. Meine Tochter ist vor kurzem ausgezogen. Ich mutiere sozusagen von der Mutter zurück zur Frau. Nennen wir es: neue alte Freiheiten.«
»Hört sich gut an«, sagte Agnese di Napoli und lächelte ansatzweise. »Mein Sohn ist siebzehn, aber von Erwachsenwerden keine Spur.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Im Gegenteil. Er drückt.« Sie zündete sich eine Zigarette an.
»Und woher nimmt er das Geld?«
Hysterisches Auflachen. »Gute Frage. Zum Teil von mir. Oder er klaut. Pumpt es sich bei anderen Leuten zusammen. Gerät immer tiefer in Teufels Küche. Was kann ich schon machen … Pah!« Sie stieß die Luft aus und machte sich auf die Suche nach einem Aschenbecher.
Marlen dachte, sie sollte Agnese di
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