Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Napoli und die Tabakfrau miteinander bekanntmachen. Sie hatten, zumindest was ihre Kinder anging, ähnliche Probleme, vielleicht würden sie gemeinsam leichter eine Lösung finden. Oder sich gemeinsam leichter damit abfinden, daß keine Lösung in Sicht war.
»Hat er sich von Ihnen auch Geld geliehen?«
»Wer? Ihr Sohn? Von uns?« Livia und Marlen kamen nicht nach.
Agnese lächelte süffisant. »Ich meine Salvatore. Eine Art intimer Bekannter, wenn ich richtig vermute.«
»Das geht Sie nichts an«, gab Marlen ungewollt patzig zurück. Was sollte diese Stichelei? Eifersucht? Rivalität? Wollte Agnese ihnen zu verstehen geben, daß sie sich zu wehren verstand?
Ihre Gastgeberin mit den dunkelrot getönten Haaren begann nun mit dem, was Salvatore als »sie redet gern und viel und besonders gern über Verflossene« bezeichnet hatte. Eine Aufzählung von Schwächen der Männer im allgemeinen und Salvatores im besonderen: die dicke Haut, die Angst vor den Frauen, die Fixierung auf den Schwanz, das felsenfeste Selbstbewußtsein. Man solle sich von Salvatores Flippigkeit und von seiner Samtstimme – noch gar nicht bemerkt, dachte Marlen – nicht täuschen lassen, er sei ein Mann, dem Frauen leicht aufsaßen, einer, der über Leichen ging, ohne es auch nur zu merken, ein Schmarotzer, der keinen richtigen Beruf habe und sich munter durchs Leben schnorre, ohne je eine Lira zurückzuzahlen, allein von Agnese: fünf Millionen, nicht gerade wenig für eine alleinstehende Restauratorin mit Kind.« Und wenn man ihn darauf anspricht oder wenn man ihn braucht, dann macht er sich aus dem Staub.« Für einen wie Salvatore sei die Welt groß genug, um immer wieder ein Fleckchen zu finden, wo er gut ankam. Als nächstes womöglich Deutschland? Sie warf dabei Marlen einen ironischen Blick zu.
Marlen wollte all das überhaupt nicht wissen. Sie beschloß, nur für sich, daß es sich um einen Namensvetter handeln mußte. Anderer Ort, andere Zeit, andere Personen. Nicht das gleiche Stück. Und überhaupt war sie nicht gekommen, um sich über das Versagen der vermeintlichen Retter dieser Welt belehren zu lassen.
»Und Sie sind eine gute Freundin von Fiorilla?« wechselte sie das Thema.
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen«, antwortete Agnese ohne mit der Wimper zu zucken und zündete sich eine weitere Zigarette an, obwohl die erste, halb auf geraucht, noch im Aschenbecher vor sich hin glomm. »Wir kennen uns seit knapp dreißig Jahren. Eine lange Zeit.« Sie stieß den Rauch aus, lächelte ein wenig gequält.
»Dann kennen Sie natürlich auch Fiorillas ersten Mann«, sagte Livia.
Agnese zögerte. »Ich habe ihn nur zwei- oder dreimal gesehen. Ein liebenswerter älterer Herr. Er und Fiorilla wohnten zu der Zeit in der Schweiz, und ich, beziehungsweise wir, in Neapel. Dazwischen liegen bekanntlich Welten.«
»Woran ist er eigentlich gestorben?«
»Dario Gentile? Herzversagen. Mitte sechzig, zu viel gearbeitet, ständig gereist«, zählte Agnese auf. »Fiorilla hat ihn zwar nach Leibeskräften unterstützt, aber leider … und nun auch noch Umberto. Sie waren so ein vorbildliches Paar, trotz der Seitensprünge, vielleicht gerade deswegen. Arme Fiorilla. Sie kann einem wirklich leid tun.« Sie drückte die Zigarette aus. »War das alles, was Sie mich fragen wollten? Ich habe nämlich noch zu tun …«
»Nur noch eine Kleinigkeit«, sagte Livia und tat, als sei diese Frage ihr ein wenig peinlich. »Uns sind Informationen zugespielt worden, daß ein Gemälde, das im Haus von Fiorilla Cacciapuoti hängt, aus Hehlerbeständen stammt. Wir wollten Fiorilla heute nachmittag gern selbst danach fragen und den Irrtum aufklären, aber wegen dieses schockierenden Testaments war sie verständlicherweise nicht in der Stimmung, sich ausgerechnet jetzt mit solchen Dingen herumzuschlagen. Können Sie uns da vielleicht weiterhelfen?«
Agnese di Napoli riß erstaunt – oder gekonnt – die Augen auf. Livia beobachtete, wie ihre rechte Hand sich um den Aschenbecher krampfte. Diese Bemerkung brachte sie nun offensichtlich doch aus dem Gleichgewicht. »Das kann nicht sein. Wie kommen Sie denn darauf? Kann ich mir nicht vorstellen.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Es sei denn …«
»Es sei denn, was?« hakte Marlen nach.
»Es sei denn, Umberto hat dieses Gemälde, von dem Sie sprechen, ins Haus gebracht, natürlich ohne zu ahnen, worum es sich handelt. Er hat sich sehr für Kunst interessiert und gern das eine oder andere Stück erstanden.
Weitere Kostenlose Bücher