Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Neureiche, Kulturszenensnobs, Geschäftsleute, Bankiers, Künstler. Eine Jazzband, die nach Mitternacht spielen würde, baute in der Ecke die Instrumente auf. Roberto feierte in seinen Geburtstag hinein, weshalb auch die Geschenke vorerst nicht überreicht und geöffnet, sondern von einer jungen Frau mit Punkfrisur – eine der Töchter Robertos – in Empfang genommen und in einem Nebenzimmer deponiert wurden.
Jetzt kam auch Jean in Begleitung von Claude, der wegen des unterirdischen Kunstspektakels angereist war, das am Sonntagabend Premiere haben würde. Die beiden Männer hatten Livia und Marlen eigentlich abholen wollen, aber Jean hatte angerufen und abgesagt: Claude sei von der Stadtführung erschöpft und würde sich lieber ein anderes Mal und in aller Ruhe Livias Bilder anschauen. Der französische Bildhauer war ein schüchterner Einsneunzigmann mit krausen Haaren, der kein Wort Italienisch sprach. Da Livia kein Französisch konnte, ließ sich das Gespräch in einer Ecke des Salotto schleppend an. In ihr regte sich wieder leiser Groll wegen der verpatzten Kunstausstellung, zumal sie sich auf dem Fest desjenigen befanden, der dafür verantwortlich war, daß sie nicht teilnehmen durfte. Außerdem, und das war in diesem Moment wesentlicher, zeichnete sich deutlich ab, daß Jean den ganzen Abend und vermutlich noch einige Tage länger Claudes offiziellen Begleiter und Gesellschaftseinweiser spielen würde. Sie sagte, sie müsse Marlen ein paar Leuten vorstellen, und wünschte den Herren einen angenehmen Abend.
Sie machten die Runde durch alle Räume, gesellten sich zu dieser oder jener Gruppe, jeder redete mit jedem, man gab sich offen und war in Feierlaune. Gino, der Schuhdesigner, kreuzte wieder auf, unrasiert, das Hemd hing ihm aus der Hose, er hakte sich bei ihnen ein, hechelte die Fußbekleidung der anwesenden Damen durch und beschwor Livia, unbedingt Schuhe mit höheren Absätzen zu tragen. Dann schwirrte er weiter, um seine Weitsicht zu verbreiten, die bei den Schuhen begann und dort auch endete. Zwischendurch wurde Marlen Roberto vorgestellt, der ihr im Rausch seiner Gastgeberpflichten im Vorübergehen geistesabwesend die Hand schüttelte. Livias ehemaliger Chef aus dem Museo di Capodimonte, ein Mann von Mitte Sechzig, der Ende des Jahres pensioniert werden sollte, nahm sich hingegen ein paar Minuten Zeit und schwärmte – Marlens Herkunft zu Ehren – von den Bildern Caspar David Friedrichs in der Hamburger Kunsthalle. Marlen war überzeugt, daß er sich für jede größere Kunstsammlung in Europa auf ähnliche Weise hätte begeistern können, würde sie zufällig aus der entsprechenden Stadt stammen. Sie wechselten ein paar Nebensätze über die vielen Kunstschätze in Neapel, und anschließend wurde die deutsche Journalistin herzlich eingeladen, sich in der derzeit geschlossenen Abteilung, neapolitanische Malerei des 19. Jahrhunderts, umzusehen. »Rufen Sie mich an, ich stehe gerne zu Ihrer Verfügung!«
Ein Smalltalk der kultivierten Art, abgelöst durch Jean und Claude, die die geschäftliche Runde bei den wichtigsten neapolitanischen Galeristen und Künstlern machten und natürlich auch den direttore begrüßten, der – wie Marlen und Livia aufschnappten – begeistert auf seinen letzten Besuch im Louvre zu sprechen kam und insbesondere Géricault über den grünen Klee lobte.
Marlen, die in der Schule immerhin sieben Jahre Französisch gelernt hatte, beschloß, Livia ein Tête-à-tête mit Jean zu verschaffen, und verwickelte Claude in ein Gespräch über seine ersten Eindrücke von der Stadt. Um kurz vor Mitternacht wurde die Stimmung hochgequirlt, um Roberto einen gebührenden Empfang in die zweite Jahrhunderthälfte zu bereiten. Jean und Livia gesellten sich zu ihnen, zu viert standen sie etwas abseits in der Nähe der Terrassentür. Die Kellner gingen herum und schenkten Champagner aus. Dann stimmte jemand ein Happy Birthday an, die Gläser klangen. Ein paar Stimmen riefen unüberhörbar: » silenzio !«, und als alle verstummt waren, hielt ein sympathisch aussehender Mann, offenbar ein Freund aus der Schulzeit, eine launige Rede auf Roberto. Insider hatten viel Freude an den kleinen Spitzen, Neckereien und vergessenen Anekdoten – die Tramptour durch Skandinavien, der Koffer, den seine Frau ihm vor ungefähr fünfzehn Jahren einmal nachgeworfen hatte. Auch Außenstehende wie Livia bekamen einen anderen Roberto präsentiert als den, den sie aus öffentlichen Zusammenhängen
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