Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
kannten.
Gegen eins, als die Rede und die Ovationen vorbei waren, verabschiedeten sich Jean und Claude. Claude schlief beinahe im Stehen ein, Jean wollte ihn ins Hotel begleiten und dann selbst nach Hause fahren. Livia und Marlen beschlossen, ein letztes Glas Wein zu trinken, aus dem mindestens drei letzte
Gläser wurden. Die Nacht ging mit Gesprächen, Gelächter und vor allem Alkohol dahin. Gegen zwei erschien auch Rosaria plötzlich wieder auf der Bildfläche. Sie hatte einen kleinen Schluckauf und bat, man solle ihr Champagner einflößen. »Kohlensäure entspannt.«
Livia fragte nach Corrado. War er auch schon wieder gegangen? Was war nur los mit den Männern?
»Gute Frage«, brummte Rosaria. »Vermutlich hockt er jetzt mit roten Augen vor seinem Computer, und wenn ich nachher komme, sieht er aus, als hätte er jede Menge Alkohol intus und nicht ich. Corrado ist ein alter Fetenmuffel. Das ist einer seiner wenigen Defekte: daß er größere Menschenansammlungen nicht erträgt. Und verbohrter ist als ein Holzwurm. Wenn er ein Problem am Wickel hat, hört er nicht eher auf, als bis die Sache geklärt ist.«
Wieso war er dann überhaupt mitgekommen?
»Roberto zuliebe natürlich«, grinste Rosaria. »So läuft das meistens. Er kommt kurz mit, um den schönen Schein zu wahren und um mir einen Gefallen zu tun, und ich sage ihm zuliebe nichts, wenn er schnell wieder die Kurve kratzt. Dafür kann ich flirten, mit wem ich will. Ist doch auch was, oder?« Sie leerte ihr Glas in einem Zug und beugte sich zu Livia. »Na, meine Liebe, wen aus dieser Crème de la crème wolltest du schon immer mal porträtieren? Wie wär’s mit den zwei Hübschen da drüben?« Flüsternd zeigte sie auf einen Mann aus der guten und dann auf einen aus der noch besseren Gesellschaft. Die drei Frauen kicherten. Der Wein zeigte endlich seine Wirkung.
Beide Herren waren Rosaria noch aus der Zeit in der Rotlichtbar in eindringlicher Erinnerung. »Aber sie wollten sich partout nicht an mich erinnern. Was hat schon eine ehemalige Bardame auf dem Geburtstag vom großen Roberto Mazzacane zu suchen? Oder sie sind inzwischen vollends vergreist und erinnern sich wirklich nicht an mich? Nein, nein, man konnte ihnen ansehen, daß es ihnen schrecklich peinlich war. Und als ich dann auch noch verlauten ließ, daß ich Juristin bin und für Roberto arbeite – Kinder, Kinder.« Sie klopfte Livia auf die Schulter. »Aber was sagt ihr zu diesem Weinhändler? Der hat wenigstens etwas springen lassen für seine Weiber.« Rosaria äußerte sich voller Bewunderung für die testamentarische Hinterlassenschaft des toten Umberto: ein letzter Tribut an die Frauen, mit denen er einen – und wenn auch noch so geringfügigen – Teil seines Lebens verbracht hatte. »Apropos: wie war’s heute bei Witwens? Wie heißt die Dame noch gleich?«
Livia winkte ab. Fiorilla Cacciapuoti habe sie nicht empfangen wollen. Dafür hatten sie etwas anderes herausgefunden. »Erzähl ich dir morgen.«
»Das heißt also: keine Fotos aus dem Hause Cacciapuoti«, resümierte Rosaria lallend. Marlen kam auf die alberne Idee, Rosaria inkognito bei den Cacciapuoti als Putzfrau einzuschleusen. Livia ergänzte, Rosaria könnte dann eine Kamera in ihrer Kitteltasche verstecken, um damit die Kunstgegenstände zu fotografieren, damit diese wiederum überprüft werden konnten. Sie spannen die Idee weiter aus und schwankten dann untergehakt und kichernd zur Bar, um den Abend mit einem Grappa zu beschließen.
Dort trafen sie auf Roberto und einige seiner Jugendfreunde, die die Gesellschaft von drei »Schönen der Nacht« auf eine Weise begrüßten, die nicht nur auf die Uhrzeit und die Prozente im Blut zurückzuführen war. Einer von ihnen, der kleinste und offenbar nüchternste der insgesamt fünf Männer – »wir sind zusammen zur Schule gegangen« – legte Marlen den Arm um die Schulter und zog sie an sich. Ein zweiter, der die Rede auf das Geburtstagskind gehalten hatte, verneigte sich vornehm, was jedoch auf erste Gleichgewichtsprobleme zurückzuführen sein mochte, und lallte in Richtung Kellner, der mit müden Augen hinter der Bar stand, er solle unverzüglich eine Flasche öffnen für diese reizenden Signorine, die Roberto ihnen bisher vorenthalten habe, ein nahezu unverzeihlicher Akt von purem Egoismus. Und bevor Roberto, der seinerseits ein wenig wankte, den Mund aufmachen und zwei der Frauen als seine Mitarbeiterinnen vorstellen konnte, fiel in der freudigen Begrüßung des
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