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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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der Stadt. Nicht einmal Livia wußte, wo sie war. Das hast du schon vorher gewußt, meldete sich eine leise, aber deutlich zeternde Stimme aus der Vergangenheit. Die Mutter? Die Großmutter?
    Na und? Sie schüttelte die ungebetene Einmischung ab. Bis jetzt war alles in Ordnung, Mißtrauen war fehl am Platz. Es kam ihr vor, als entdecke sie eine seit Jahrhunderten existierende, unbewohnte Stadt, deren Geschichten sich im Tuff eingenistet hatten. Am liebsten hätte sie als Zeichen vergangenen Lebens irgendetwas gefunden, einen zerbeulten Topf aus dem Krieg, eine einarmige Plastikpuppe, einen Tonkrug aus Vorzeiten, die Scherbe einer Majolika. So war es auch: ein Lebenszeichen anderer Natur jedoch, denn am Ende eines Gangs stießen sie auf einen großen Haufen Müll, der stinkend vor sich hin moderte und ihnen den Weg versperrte.
    »In der Decke muß ein alter Brunnenschacht enden«, sagte Salvatore, als sie außer Riechweite waren, »der nicht zur Treppe ausgebaut wurde und jetzt als Müllschlucker dient – nicht nur, wenn die Müllabfuhr streikt. Hauptsache, vor der eigenen Tür ist es sauber, wie es fünf Meter weiter aussieht, ist den meisten Leuten herzlich egal…«
    »… während sich meine Landsleute vor allem um den Dreck vor den Türen der anderen scheren«, sagte Marlen.
    »Gute Zusammenarbeit«, grinste Salvatore.
    Ihre Unterhaltung klang leicht und beschwingt, und doch ließen sich weder Aufregung noch Begehren in Schach halten – eine Frage der Untertöne. Plötzlich zuckte Marlen zusammen, blieb abrupt stehen, packte Salvatore am Ärmel. Ihr war, als hätte sie ein Geräusch gehört, und ganz weit entfernt sogar Stimmen. Auch Salvatore erschrak, wie ihr schien, er horchte aufmerksam, entspannte sich dann wieder.
    Er legte ihr einen Finger auf den Mund. »Mach die Lampe aus. Horch mal, wie es sich anhört, das unterirdische Neapel.«
    Sie lauschten in die Stille hinein, die zunächst noch keine war. Marlen vernahm diffusen Lärm, eine Glocke aus Geräuschen, wie sie jeder mit sich trägt, Geräusche, Töne, Stimmen aus der eigenen Vergangenheit, der nahen und der fernen, die allmählich verebbten. Vielleicht vernahm sie diesen diffusen Lärm nur aus Gewohnheit, in der Erwartung, etwas zu hören, vielleicht war es nur eine Illusion an Geräuschen, Lauten, Stimmen – der kaum mehr wegzudenkende sonore Hintergrund einer Großstadt. Doch allmählich schluckte die Stille sogar den bloßen Gedanken an Lärm, als sei das unterirdische Neapel ein riesiges schwarzes Loch, in dem alles verschwand. Der Raum, in dem sie standen, wurde größer, durchlässiger, wie eine tief schwarze Nacht. Fast hätte Marlen nach Sternen Ausschau gehalten.
    Salvatore stand direkt vor ihr, sie spürte die Wärme seines Körpers unter ihren Händen, sie spürte seine Hände, dort, wo am Vormittag sein Blick entlanggewandert war, in umgekehrter Reihenfolge, von den Augen abwärts. Auch deshalb war sie mitgegangen, sie hatte es gewußt, er hatte es gewußt. Ein guter Platz, fuhr ihr durch den Sinn, dunkel, sinnlich, endlos, die Erde ist nahe und der Himmel eine Fiktion aus Tuff.
    »Ich kenne einen bequemeren Ort«, flüsterte Salvatore. »Komm.«
    »Quatsch«, flüsterte sie zurück. Es gab Situationen, in denen sinnliche Erregung keinen Aufschub duldete, oder sie zerstäubte. Sie zog ihn wieder an sich.
    »Meine Teenagerhöhle ist noch immer gut im Schuß«, sagte Salvatore atemlos und löste sich von ihr. »Und nach wie vor bestens ausgestattet. Komm. Es ist nicht weit.«
    Die Vorstellung von einem muffigen Diwan, der seit mindestens zwanzig Jahren hier unten stand, knarrte und ab und zu für Schäferstündchen herhalten mußte, behagte Marlen keineswegs. Es gefiel ihr auch nicht, hingehalten zu werden, und wenn sie ganz ehrlich war, störte sie am meisten, daß dieser Mann die ganze Zeit bestimmt hatte, wo es langging, und das ausgerechnet auch jetzt noch übernehmen wollte. Der dunkle Raum, der stumme Moment im dunklen Raum hatten so gut gepaßt, hauteng, Erotik pur. Sie brauchte keinen Diwan und keine Jugendhöhle, und überhaupt war sie nicht mehr dreizehn. Andererseits würde sie allein nicht herausfinden aus diesem unterirdischen Labyrinth.
    Sie gingen weiter, Salvatore vorweg, sie hinterher. Der Gang wurde niedriger, sie stieß sich den Kopf, wurde wütender, ein wahres Kreuzfeuer der inneren Teufel, die immer dann zum Vorschein kamen, wenn sie etwas tat, ohne es wirklich zu wollen. Wahrscheinlich treibt der Kerl es jede Woche

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