Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
Vom Netzwerk:
beschreiben, faselte etwas von langen Fingern, einem offenen Blick, Sinn für Ironie, einer gewissen erotischen Ausstrahlung. Wie versteinert hatte er dagestanden, nachdem sie ihn zur Seite geschoben und den toten Mann entdeckt hatte. Seine ganze Lockerheit war abgebröckelt wie eine getrocknete Gesichtsmaske aus Joghurt. Dann die hastige Flucht, er hatte Marlen am Arm gepackt und sie hinter sich hergezerrt, und als sie völlig in Panik und außer Atem in irgendeinem Palazzo in den Quartieri Spagnoli wieder herausgekommen waren – nicht in dem taubenverschissenen Hinterhof – hatte er sich mit einem kurzen ci sentiamo aus dem Staub gemacht. Sie hatte nicht ein mal seine Telefonnummer. Wir hören voneinander . Wie denn? Gespenstisch, das alles. Sie begann wieder zu zittern.
    »Er muß doch irgend etwas gesagt haben«, insistierte Livia, inzwischen voll bei der Sache. »Ob er den Toten gekannt hat. Oder erkannt hat.«
    Marlen schüttelte stumm den Kopf.
    »Vielleicht hat er dich absichtlich dorthin geführt.«
    Jetzt mußte Marlen doch lächeln. »Absichtlich schon«, sagte sie leise. »Allerdings waren seine Absichten anderer Natur…«
    Sie zog die Knie erneut an die Brust, umschlang die Beine mit den Armen, ließ den Kopf sinken. Hätte ich bloß darauf bestanden, es gleich zu machen, dachte sie, und der Gedanke war wie ein riesiges Wasserbett, ein traumhafter Ort zum Davonschwimmen zweier Körper. Sogar in diesem Schweigeraum wäre es gut gewesen, auf der harten Erde oder im Stehen. Der Tote hätte allen gestohlen bleiben können. Und ihr wäre eine abgerundete Erinnerung geblieben – statt eines Toten und eines stummen Taxifahrers.
    Livia war Feuer und Flamme. Eine abenteuerliche Geschichte war das. Es kribbelte ihr unter der Haut, die unterirdischen Gänge zu erkunden. Was wohl mit diesem Taxifahrer los war – vielleicht hatte er einfach Schiß bekommen, vielleicht steckte auch mehr dahinter.
    Denkbar waren Hunderte an möglichen Szenarien, zusammengestückelt aus jenem Sammelsurium an Bildern, in deren Gefolge auch Livia aufgewachsen war, unter der ständigen Obhut von Film, Fernsehen, Zeitungen, Krimis, Groschenromanen, mündlich weitererzählten Geschichten, Gerüchten – eine längst nicht mehr zu bewältigende Menge an Eindrücken. Jeder wählte anders und anderes aus, wählte Bilderkombinationen, die zu ureigenen Erfahrungen, Ängsten, Sehnsüchten paßten, und doch ergaben sich ähnliche Muster.
    Marlen dachte zunächst an mafiose Verbrecherorganisationen. Unter der Erde war die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Jemand sollte verschwinden, und zwar unauffällig. Das unterirdische Neapel war ein geheimes Plätzchen. Und weitverzweigt. Vielleicht hatte sich irgendeiner der diversen Camorra-Clans eines Widersachers entledigt, ab durch den Brunnenschacht, dorthin, wo alle Toten ruhen. Der Tote mit Beton an den Füßen – das dazugehörige Bild stammte aus einem Laurel-und-Hardy-Film aus den sechziger Jahren, einer von ihnen war fußüber in ein kugeliges Gefäß mit Beton gefallen und wippte zum Vergnügen der Zuschauer hilflos hin und her wie ein Stehaufmännchen.
    Dagegen spreche der Fundort, fand Livia. Ein Toter auf einem Diwan in einer unterirdischen Höhle, das klang nicht nach Praktiken realer Verbrecherorganisationen, eher nach Hirngespinsten in einem Krimi. Oder schlicht nach Selbstmord.
    »Das hätte er über der Erde leichter haben können.«
    »Vielleicht wollte er nicht in einer beengenden Holzkiste unter die Erde gelangen …«
    »… beziehungsweise in den Himmel …«
    »… sondern auf einem weichen Diwan.«
    »Warum hätte Salvatore dann so erschrecken sollen?«
    »Vielleicht kannte er den Toten.«
    Die nächsten Bilder galten – in Variationen – Frauen, die ihre Männer um die Ecke bringen wollten,
    »Weil er sie mit anderen Frauen betrogen hat.«
    »Weil er sie geschlagen hat.«
    »Weil sie ihn beerben wollte.«
    »Weil er eigentlich sie umbringen wollte.«
    »Weil er im Bett eine Katastrophe war.«
    »Oder es war der Ehemann einer dieser Frauen.«
    »Oder es war dieser Salvatore.«
    »Quatsch! An dir ist eine Detektivin verlorengegangen.«
    »Wieso verlorengegangen?«
    Die beiden Frauen leerten im Verlauf des Abends die ganze Grappaflasche, ihre Phantasien wurden zunehmend wilder und absurder, obwohl die Realität, wie sie schließlich befanden, oft noch absurder war als die Vorstellung, die man sich von ihr machte. Man brauchte nur in die Zeitung zu schauen, Kind in Waschmaschine

Weitere Kostenlose Bücher