Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Schritte waren hart. Der Kopf brummte, die Füße wollten sich kaum vom Boden lösen. Von zirkulierenden Energieströmen und dergleichen war nichts zu spüren. Marlen nahm die mittlere von drei Alleen, die in den Park hineinführten. Am Anfang traf sie noch auf vereinzelte Fußgänger und auf ältere Leute, die sich auf Bänken die Aprilsonne ins Gesicht scheinen ließen. Je weiter Marlen in den Park hineinlief, desto weniger Menschen begegnete sie. Wochentags war hier kaum etwas los.
Wie so oft beim Laufen pendelten sich Gedankenfetzen auf den Rhythmus der Beine ein, liefen mit, in Silben zergliedert, verloren dabei an Schärfe und Wichtigkeit, ein Rap aus afrikanischen Trommeln und Congas, der durch den Körper zog. I-ca-zzi-miei, dachte Marlen, i-ca-zzi-miei, sie wurde diesen Spruch nicht los. Salvatores Stimme hatte sich in ihr verselbständigt und tönte nun zum gleichmäßigen Trab der Füße, ein unerwünschtes Echo, gefolgt von einem wiederholten ci-sen-tia-mo, ci-sen-tia-mo. Marlen spuckte aus. Schleimbildung im Mund, Zeichen für falsches Atmen, schlechte Körperkoordination. Auf-dem-Di-wan, hielt sie ihre eigene Stimme der Salvatores entgegen, doch: Sie-sind-mein-heu-ti-ges-Wun-der meldete sich wiederum Salvatore, und sie: o-wun-der-sa-me- Stadt, und er: das-Wun-der-geht-rund, doch das war schon eine Vermischung der Töne. Das Laufen begann Wirkung zu zeigen. Sal-va-to-re, Sal-va-to-re, pendelte sie sich ein, als Rhythmus gar nicht so übel. Nicht-die-Po-li-zei, kam Livias Stimme hinzu. Dein-Freund-und-Hel-fer, wieder die eigene. An dem Punkt spürte sie die ersten Seitenstiche, lief langsamer, konzentrierte sich eine Weile nur auf den Atem, die Seitenstiche ließen nach.
Mi-fa-ccioi-ca-zzi-miei, dachte sie wieder, der Spruch war den Männern wie auf den Leib geschnitten: sich nur um die eigenen Schwänze zu kümmern, sprich um ihren eigenen Kram. Vielleicht hatten Männer den Spruch aber auch erfunden, um den Frauen Einhalt zu gebieten, nach dem Motto: mein Schwanz gehört mir?
Hinter sich hörte sie ein rhythmisches Schnaufen, das lauter wurde, ein dünner, sichtlich durchtrainierter Mann, in den Ohren zwei Walkmanknöpfe, überholte sie schwer atmend, nickte ihr kurz zu, zog vorbei. Fritz beim Marathonlauf, dachte Marlen mit Blick auf die muskulösen Beine des Mannes, und dann lief sie diesem Fritz in Gedanken eine Weile hinterher, auch wenn der Mann längst außer Sichtweite war. Sie hatte ihren Rhythmus und ihr Tempo gefunden.
Fritz war es gewesen, der sie, Marlen, zum Laufen animiert hatte, während sie ihn dazu verführt hatte, mal etwas anderes als Miracoli-Spaghetti, Fischstäbchen und Joghurt zu sich zu nehmen. Einführung in kulinarische Grundkenntnisse gegen regelmäßige körperliche Ertüchtigung. Mittlerweile war Fritz zum Gourmet und ausgezeichneten Koch geworden, während Marlen regelmäßig joggen ging: Immerhin, dachte sie in einem Anflug von Wehmut, keine Beziehung geht spurlos vorüber. Fritz, von dem sie sich vor zwei Monaten getrennt hatte – oder er sich von ihr, wie sie es nahm. Fritz, der sich nie richtig auf sie und Luzie eingelassen hatte, auf die dreiköpfige Familie, der stets sie, Marlen, für sich haben wollte, und Luzie als vor- übergehende Beigabe. Und Marlen hatte ihn im Gegenzug belagert, er solle Verantwortung übernehmen. Und als Luzie selbständiger wurde und sich immer mehr aus der nicht funktionierenden Dreiergemeinschaft herauszuziehen begann, war auch der Rest in sich zusammengefallen, ein Bierdeckelhaus.
Die letzte gemeinsame Reise im vergangenen Sommer, quer durch die USA auf schnurgerade gen Westen führenden Straßen, tagelang jeden Tag das gleiche, und zum ersten Mal mit Fritz allein, ohne Luzie, ihren Zankapfel, den Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens zu dritt. Die langersehnte Zweisamkeit hatte sich als trügerisch entpuppt, je weiter sie nach Westen gekommen waren. Die monotone Fahrt war wie ein Test für ihre Beziehung gewesen, das Schweigen oft ungut und leer, die Gespräche ungewohnt hölzern. Und auch die Körper – stumm. Irgendwann im Verlauf der Reise war Marlen zu dem Schluß gekommen, daß sie und Fritz sich eine Weile voneinander trennen mußten, wenn die Liebe wieder Aufwind erhalten sollte. Und leider hatten beide im Verlauf des trüben, regnerischen Winters einsehen müssen, daß es keine Hoffnung mehr gab. Sie stritten sich zwar nicht, aber auch die Sehnsucht lag darnieder. Etwas war zu Ende. Hör-auf-zu-den-ken, Mar-len.
Nein,
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