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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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weitere Taxifahrer kamen hinzu, jeder meinte, den Gesuchten schon einmal gesehen zu haben, sie solle abends wiederkommen, wenn dieser Salvatore einer von denen sei, die Nachttouren machten … »Der Bahnhof ist nachts kein Platz für Damen«, sagte der dritte und erntete verhaltenes, zustimmendes Gelächter.
    Marlen holte in der Bar della Stazione Centrale eine Runde Espresso. Als sie zurückkam, waren die Taxifahrer vollauf beschäftigt. Der Zug aus Rom war mit halbstündiger Verspätung eingefahren, die Reisenden strömten aus der Halle, und in Nullkommanichts waren fast alle gelben Autos im Verkehr verschwunden »Kommen Sie abends wieder«, schrie der letzte Taxifahrer, bevor er sich hinters Steuer schwang, und zwinkerte ihr zu. Als zwei Minuten später der nächste Taxifahrer vorfuhr und ausstieg, um auf den nächsten Zug aus Süden oder Norden zu warten, drückte Marlen ihm das Tablett mit den Espressi in Plastikbechern in die Hand und verschwand ihrerseits im Innern des Bahnhofs.
    Der Barmann zog ein altes, zerfleddertes Telefonbuch unter dem Tresen hervor, ein Exemplar von 1991, aber immerhin. Telefonbücher waren in Neapel eine Seltenheit, was zur Folge hatte, daß aktuelle Telefonbücher, sobald sie in öffentlichen Zellen ausgehängt wurden, im Nullkommanichts von der Bildfläche verschwanden. Marlen hoffte, daß dieser Verein von dem Plakat im Gambrinus auch schon 1991 existiert hatte. Tatsächlich, da stand es: LAES. Libera Associazione Escursionisti Sottosuolo. Daneben Adresse und Telefonnummer.
    Auf der Wählscheibe des Telefons in der Ecke klebte ein abgerissener Zettel: guasto , kaputt. Marlen zuckte die Schultern und registrierte erstaunt die innere Gelassenheit. Vermutlich hat Gelassenheit etwas mit Sicheinlassen zu tun, dachte sie, und ich habe mich trotz der aufregenden Tage bereits ein wenig erholt, eingelassen auf den Rhythmus der Stadt und die Notwendigkeit zu improvisieren. Immerhin, einen Erfolg hatte sie bereits vorzuweisen: die Adresse der LAES. Vielleicht hatte sie sogar Glück und traf dort jemanden an.
    Zwanzig Minuten später stand sie vor einem herunter gelassenen Rolladen. Das Büro der LAES war geschlossen. An der Wand klebte ein von der Sonne ausgeblichenes Plakat, das Vorträge über das unterirdische Neapel ankündigte, die vor einem guten halben Jahr stattgefunden hatten, auch Führungen, jeden Sonntag vormittag, bei Bedarf auch – damit endete der Text, jemand hatte die Ecke des Plakats abgerissen.
    Eine Frau hing aus dem Fensterrahmen ihres Basso wie aus einem Bild und betrachtete schweigend das Geschehen auf der Straße. Marlen grüßte sie. Die Frau nickte ihr stumm zu, sagte dann, als Marlen schon drei Schritte weiter war: » E chiuso! «
    Marlen drehte sich um, nickte, fragte die Frau, ob sie wisse, wann sie dort jemanden antreffen könne.
    Die Frau schob das Kinn vor, öffnete die Hände wie eine, die zeigen will, daß sie nichts hat, und wo nichts ist, ist auch nichts zu holen, nicht einmal eine klitzekleine Information, und nur der Herrgott sieht alles: » Mah! Non si sa mai .« Manchmal sei jemand da, manchmal nicht. Je nachdem. Mal so, mal so. Was soll man machen. » C’aggie ‘a fa’! «
    Ja, da konnte man in der Tat nichts machen, höchstens unverrichteter Dinge nach Hause gehen, es telefonisch bei der LAES versuchen und durch den Anrufbeantworter erfahren, daß an jedem Sonntag vormittag und bei Bedarf auch freitags nachmittags Führungen stattfanden, und daß um telefonische Anmeldung gebeten wurde.

11
    Es war Freitag abend. Während Marlen auf Livia wartete, blätterte sie in dem Buch, das sie auf dem Heimweg erstanden hatte: Le quattro giornate di Napoli , eine angestaubte, an den Kanten leicht aufgefilzte Ausgabe von 1973, wie sie nur in den halb antiquarischen, halb auf Ramschware spezialisierten Buchläden an der Port’Alba und im Centro Storico zu finden waren, diesen im Halbschatten existierenden, leicht miefenden Buden mit doppelten Wänden aus Papier, Druckerschwärze und Buchrücken, in deren Durcheinander man auf längst eingestampft geglaubte Schätze stoßen konnte, wie faules Gemüse vom Markt geworfen, Buchgut für Sammler, Stöberer, Liebhaber.
    Sie war durch das Titelblatt auf das Buch aufmerksam geworden. Es zeigte das Foto eines kämpfenden Jungen, Sinnbild des schmutzigen, barfüßigen, kecken, gerissenen männlichen Gassenjungen, Mythos des scugnizzo , der die feindlichen Soldaten verjagt hatte: auf dem Kopf ein zu großer Soldatenhelm,

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