Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Bild in Arbeit?«
Vor ihnen stand Giro, ein Typ, den gewisse Frauen einfach unwiderstehlich fanden. Er war aus Neapel nicht wegzudenken und tauchte überall dort auf, wo was los war. Auch Ciro hatte sich malen lassen wollen, doch Livia hatte den Auftrag abgelehnt. Sie fand Giro eitel und gockelhaft, konnte ihn rundum nicht ausstehen und hatte keinerlei Interesse daran, ihre Meinung zu ändern. Es gab genügend sympathische Leute auf der Welt, da brauchte sie die unsympathischen nicht mit Pinselstrichen zu verewigen.
Ein blondierter Lockenkopf drängelte sich unter Giros Schulter hindurch, eine der Frauen aus seinem Gefolge, denn Giro ging nie ohne Begleitung mehrerer Frauen aus. Livia vermutete, daß er im Grunde Angst hatte und sich allein nicht traute.
»Wie wär’s mit mir?« Die blonde Frau, höchstens zwanzig, strahlte Livia an.
»Du kannst ja gar nicht so lange stillsitzen«, höhnte Giro aus dem Hinterhalt, so daß Livia bereits erwog, die Frau zu einem Vorgespräch einzuladen. Doch diese plapperte weiter, sie wolle Fotomodell werden, bis Livia sie auf klärte, daß sie nicht Fotografin sei, sondern Malerin, und auf das Bild an der Wand zeigte, woraufhin das Thema mit einem enttäuschten »ach sooo« beigelegt wurde.
Das Publikum war gut durchmischt, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Einige Leute begrüßten Livia, dann Marlen, wechselten ein paar Worte, verschwänden im Gewühl.
Auch Marlen ließ sich treiben, amüsierte sich prächtig. Es war nach dieser aufregenden Woche entspannend, nichts Richtiges oder Wichtiges oder Interessantes sagen zu müssen, für Meinungen nicht an den moralischen Marterpfahl gestellt zu werden. Im Gegenteil, es machte ausgesprochenen Spaß, sich über Klamotten zu unterhalten oder über die Aussicht, Fotomodell zu werden. Nirgendwo lernte Marlen so viele angehende Fotomodelle und so viele erfolglose Fotografen kennen wie bei ihren Besuchen in Neapel. Zu Hause, in Deutschland, wäre sie sich entweder wie die Schnittbogenmusterexpertin aus einer Frauenzeitschrift vorgekommen, oder sie hätte versucht, Alternativen zu einer Zukunft als Fotomodell zu entwerfen – aufgeklärter Kokolores. Hier ging es wild durcheinander, alle hatten ihren Spaß und nichts als dieses Neapel gemeinsam – und vielleicht eine diffuse Lust auf ein anderes Leben. Gut so.
Gegen elf traf Gino ein, ein uralter Bekannter von Livia, der in einem Vorort wohnte und mindestens eine Stunde unterwegs gewesen war.
»Dichter Nachtverkehr«, grinste er und zeigte dabei seine schiefen, gelblichen Zähne. Er zog einen froschgrün lackierten Damenschuh mit Pfennigabsatz aus seinem Lederrucksack: »Meine neueste Kreation.« Gino war Schuhdesigner. Er entwarf Modelle für eine Fabrik in der Nähe von Mailand und hatte, wie Livia aus jahrelanger Erfahrung wußte, in den Stunden nach Mitternacht die besten Einfälle: »Hier, bei Italo an dem Tisch da hinten in der Ecke.«
Manchmal sei der Fußboden nach solch einem Abend mit Entwürfen zweidimensionaler Damenschuhe bedeckt, spottete Livia. »Die gesamte italienische Damenwelt liegt ihm zu Füßen. Zeig mal her das Ding.« Der Absatz war mindestens zehn Zentimeter hoch, der Schuh ein Modell in Größe 35. »Damit ich ihn nicht auslatschen kann«, grinste Livia. »Nahezu perfekt für die Gassen in der Altstadt.«
»Wir haben nämlich einen Pakt geschlossen«, erklärte Gino Marlen. »Ich muß mich nicht malen lassen, und Livia braucht meine Schuhe nicht anzuziehen.« Sie zwackten sich gegenseitig in die Wange, Gino zog weiter.
Die Leute drängelten sich um die Theke, der Lärmpegel stieg empfindlich, dann und wann drang ein lauter Trompetenseufzer von Miles Davis durch. Italo und ein paar Freunde sorgten für volle Gläser. Ein Typ namens Giancarlo erzählte von Trickdieben, die in den dunklen Gassen der Stadt in Pappkartons verpackte Ziegelsteine als Kameras verkaufen. Marlen hatte bei irgendeinem ihrer Besuche schon einmal davon gehört. Egal, sie war vernarrt in derlei Geschichten, mit denen es ihr ähnlich erging wie den Käufern der vermeintlichen Kamera: sofern sie nur halbwegs realistisch verpackt waren, konnte man ihr alle möglichen Bären aufbinden. Mit dem Unterschied, daß die meisten Geschichten, die über die Stadt im Umlauf waren, sich nicht nur phantastisch anhorten, sondern auch tatsächlich passiert waren – und ihren witzigen Aspekt dadurch oft unfreiwillig einbüßten.
Eine Frau in einem knallroten Kleid, die neben Giancarlo stand,
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