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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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in gewissem Sinne Teil dieses immensen, Außenstehenden meist unbegreiflichen Körpers, der sich täglich neu erschuf: ein Neuzeitsaurier aus Fleisch und Blech und Tuff, der unentwegt mutierte, um mit der sich immer schneller verändernden Umwelt Schritt zu halten. Sie bewegte sich mühelos durch die Lucken im dichten Verkehrsstrom, langsam wie eine Schnecke, sicher wie ein Panzerfahrzeug.
    An jenem Abend wartete sie lange auf den Bus, irgendwann kam eine Frau vorbei, sah sie dort stehen und rief ihr zu, die Busfahrer würden doch streiken. Natürlich, die Tabakfrau hatte es ja selbst in der Zeitung gelesen, überlesen wie zig andere Meldungen, die dem Alltagstrott zum Opfer fielen. Auch die Bediensteten der Metro waren im Streik. Es blieb also nur das Taxi, oder aber sie ging zu Fuß, wie schon so oft, wenigstens bis Piedigrotta. Vor der Durchquerung des Tunnels nach Fuorigrotta graute ihr, nie wagte sich eine Menschenseele zu Fuß in diese abgasgeschwängerte Höhle, sie würde wie immer darauf warten müssen, daß jemand sie mitnahm.
    Das geschah eher als erwartet. Schon nach zweihundert Metern hielt neben ihr ein Auto, die Scheibe glitt automatisch gesteuert hinunter, der Fahrer beugte sich über den Beifahrersitz und fragte, ob er sie mitnehmen solle, wegen des Streiks, er fahre nach Posillipo. Sie zögerte kurz, sagte, sie müsse eigentlich nach Fuorigrotta. »Kein Problem«, hatte der Mann versichert. »Ich kann sie schnell durch den Tunnel hinbringen.« So war sie eingestiegen.
    Angst hatte sie keine. Mittlerweile kannte sie sich ein wenig aus in der Männerwelt, hatte hinzugelernt in den vergangenen Wochen der Herumtreiberei – herumtreiben, das Wort gefiel ihr, es klang verworfen, nach Jugend und Übermut. Sie brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um nach kurzer Zeit mit ziemlicher Treffsicherheit sagen zu können, was welcher Mann wann tun, welcher Schritt auf welche Geste folgen würde. Die Muster variierten zwar im Vorfeld, aber es kamen kaum neue Elemente hinzu. Vielleicht ergeht es den Männern mit den Frauen ähnlich, dachte sie, alle stellen sich auf die Muster ein, nicht auf den Menschen. Oder es liegt am Begehren, das einfach alles überrollt.
    Bei Umberto war es anders gewesen – oder dachte sie das erst jetzt, im nachhinein? Mit ein wenig Abstand ließ sich alles anders interpretieren. Er hatte sich nicht aufgedrängt, das war auch gar nicht nötig gewesen, die ganze Fahrt über hatten sie sich angeregt und respektierlich unterhalten. Wenn jemand sie heute fragen würde, wie es an diesem ersten Abend war, würde sie sagen, die Luft habe vibriert vor Begehren, oder: unsere Körper sprachen für sich. Zwei Fremde, die nebeneinander im Auto saßen. Ein Gentleman, dachte die Tabakfrau mit bitterem Nachgeschmack.
    Einen Abend später hatten sie sich wiedergetroffen, unten in Mergellina bei den Bootsstegen. » Buona sera «, hörte sie seine rauhe Stimme hinter ihrem Rücken, dann setzte er sich neben sie. Sie spürte seinen Atem an ihrer Wange, als er ihr die Hand reichte, um ihr beim Einsteigen zu helfen, und sie ins Schwanken kam, denn er besaß tatsächlich ein kleines Boot mit Motor und Kajüte, sie tuckerten in die Nacht hinein, an der Küste von Posillipo entlang, hielten auf eine jener Buchten zu, die man nur vom Meer aus erreicht. Sie machten Sachen, die sie noch nie zuvor gemacht hatte, oder war das erst später, brachte sie es durcheinander? Egal, völlig egal, Umberto war tot, die Erinnerung gehörte somit ihr allein, und sie konnte die Dinge genau so ordnen, wie sie ihr in den Sinn kamen. Sie wußte, daß sie sich noch nie so wohl in ihrer Haut gefühlt hatte, so völlig frei und selbstverständlich. Sie trafen sich mal hier, mal dort, in seinem Boot, in einer dieser kleinen Pensionen in Mergellina, ein gepflegter Palazzo mit Springbrunnen und Statuen im Vorgarten und echten Läufern in den Gängen und den Zimmern, und über dem Bett, daran erinnerte sie sich jetzt, hing ein Stich von Positano. Nie gingen sie zu ihm oder zu ihr nach Hause – das Privatleben blieb außen vor.
    Ein hingebungsvoller Liebhaber, dachte die Tabakfrau, so einen finde ich nie wieder. Gefühlsduselei, setzte sie schnell dagegen. Er hatte ihr lediglich auf die Sprünge geholfen, verborgene Schichten von Lust und Wohlbefinden entfächert, Hoffnungen genährt. Worauf denn? Auf ewige Hochsaison in Sachen Lust? Auf eine längere Beziehung?
    Irgendwann einmal hatte er sie warten lassen, war zu spät gekommen,

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