Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
die Geld von ihm haben wollen- ha, Schulden sind es, nichts weiter, aber sein Freund, mit dem er damals immer zusammen war, der hat’s wenigstens zu was gebracht – und was hat es ihm genützt? Gar nichts, im Tod sind wir alle gleich. Sie haben es sicher in der Zeitung gelesen, dieser Tote unter der Erde, Umberto Cacciapuoti, ein Jugendfreund von meinem Sohn. Wirklich schockierend, so unter der Erde zu sterben, die arme Frau.« Die Signora war nicht schockiert, dafür aber sichtlich betrübt.
»Waren die beiden … ich meine«, Marlen verschlug es vor Aufregung fast die Sprache, ihr Herz raste, was allerdings auch am Espresso liegen mochte, »waren sie gut befreundet?«
»Das habe ich doch gerade gesagt, seit der Schulzeit«, wiederholte die Signora, unwillig, unterbrochen zu werden. »Der Arme, was für ein schreckliches Ende.«
Marlen wollte wissen, ob Salvatore und Umberto auch in letzter Zeit miteinander zu tun hatten, bekam aber nicht mehr aus der Signora heraus, als daß Umberto und Salvatore in die gleiche Klasse gegangen und vor vielen Jahren zusammen durch Mittelamerika gereist seien. Für Salvatores Mutter zählte offenbar nur die Vergangenheit – weil es in der Gegenwart nicht viel gab, woran sie sich festhalten konnte: Päckchen aus Deutschland, die mit drei Monaten Verspätung eintrafen, das Abstauben von silbern gerahmten Familienfotos.
»Und wo wohnt Salvatore jetzt?«
Die Signora zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Bei irgendeiner Frau vermutlich.«
Marlen hatte plötzlich den Verdacht, die Mutter sei mit der Aufgabe betraut, zu prüfen, wem sie den aktuellen Aufenthaltsort ihres Sohnes weitergeben durfte. Sie kam sich auf einmal vor wie in einem Mafiafilm, wo schwarzgewandete Frauen ihre Männer schützen. Es hatte keinen Sinn weiterzufragen. Selbst wenn die Signora wußte, wo ihr Sohn sich aufhielt, sie würde es nicht preisgeben.
»Falls Salvatore sich demnächst bei Ihnen melden sollte, sagen Sie ihm doch bitte, daß ich hier war und daß das Buch auf ihn wartet. Meine Telefonnummer habe ich beigelegt.«
Signora delle Donne nickte und stand auf. Die Audienz war beendet. »Sie können es auf dem Eßtisch liegen lassen«, sagte sie. »Da findet er es sofort, falls er kommt, auch wenn ich gerade nicht da bin.«
Wieder gingen sie durch den halbdunklen Korridor. »Das hier ist sein Zimmer«, sagte Salvatores Mutter, als wolle sie Marlens Besuch dann doch noch eine Weile hinauszögern, um durch ihre Gegenwart auch die virtuelle Anwesenheit des Sohnes zu verlängern. Sie öffnete die Tür. Nach der peinlichen Sauberkeit und Ordnung im Wohnzimmer herrschte hier ein einziges Chaos. Alles lag kunterbunt durcheinander: alte Zeitungen, Fotos, jede Menge Bücher, große Foto- oder Kunstbände, Groschenhefte, Musikkassetten, Kopfhörer, leere Filmdosen, Negative in Klarsichthüllen, eine dicke russische Wintermütze, Münzen. An einer Wand war ein bunter südamerikanischer Wandteppich befestigt, und auf dem Teppich mit Reißzwecken wiederum Fotos, Fotos von Majatempeln und südamerikanischen Märkten, von Mexikanern mit breitkrempigen Hüten, weitere Fotos von Statuen und Brunnen und Wasserspeiern und Gemälden und sogar eins von der Malaparte-Villa auf Capri. In einer Ecke des Zimmers stand eine Bettcouch, auf der eine zerwühlte Wolldecke lag, über der Couch baumelte an nur einem Reißnagel ein Poster von Frank Zappa, daneben hing ein riesiger Stadtplan von Neapel.
Marlen sah ihn sich näher an. Den Konturen nach war es ein Plan von Neapel, sie erkannte die Buchten, den Hafen, das Castell dell’Ovo. Der Stadtplan war mit einer Art Deckblatt aus halbdurchsichtigem Pauspapier versehen, auf dem offensichtlich Straßen oder Wege und einige rote Kreuze eingezeichnet waren. »Darf ich?« fragte sie.
Die Mutter nickte. » Certo. Prego. «
Marlen hob das Deckblatt hoch und hatte nun den gewöhnlichen Plan von Neapel vor Augen. »Und was ist das da?« fragte sie und wies auf das Deckblatt.
»Das ist noch von früher«, sagte die Mutter. »Salvatore hatte einen richtigen Tick, was alles Unterirdische anbelangt, Grotten, Höhlen, Keller. Als Elfjähriger wollte er Höhlenforscher werden, als Vierzehnjähriger Taucher. Na, man sieht ja, was aus solchen hochtrabenden – oder besser tiefliegenden – Plänen wird. Jedenfalls hatte er irgendwann mal die fixe Idee, das unterirdische Neapel zu kartographieren. Das ist das Resultat.«
»Und die Kreuze?«
Die Mutter zog die Augenbrauen hoch. »So genau
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