Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
hat er mich nicht eingeweiht.«
Salvatore kannte sich also exzellent aus im unterirdischen Neapel und hatte genau verzeichnet, unter welcher Gasse sich seine Höhle befand. Außerdem, resümierte Marlen auf die Schnelle, war er einer, der viel Geld ausgab und daher viel Geld brauchte. Feste Freundschaft zu Umberto. Eine feste Beziehung? Die Mutter hatte sich nicht dazu geäußert, eher mißbilligend über »irgendeine Frau« gesprochen, bei der Salvatore wohnte. Und in jedem Fall übertraf das Zimmer alle Vorurteile, die Marlen bezüglich männlicher Unordnung hegte, oder, um es nicht diskriminierend zu sagen, sehr eigenwilliger Anordnung. Immerhin hatte die Mutter nichts verändert. Es wäre ein Leichtes gewesen, den ganzen Kram in Plastiksäcken zu verstauen, die räumliche Erinnerung an Salvatore, der sich so selten zeigte, zu tilgen, den Raum anderweitig zu nutzen. Aber vielleicht war es für die Signora delle Donne eine Art Museum, ein Heiligtum zum Schimpfen und Mißachten und Warten, das sie im Grunde ihres Herzens ebenso liebte wie ihren Sohn.
»Und falls Sie ihn zufällig treffen«, bat die Mutter eine ganze Spur kleinlauter als am Anfang ihrer Begegnung, »sagen Sie ihm doch, hier warten jede Menge Briefe, und er soll doch mal wieder, seit Wochen ist er nicht mehr … na ja, jedenfalls vielen Dank für Ihren Besuch, Sie wissen schon, was ich meine.«
Marlen wußte, was sie meinte, und bedankte sich ihrerseits.
16
Durch die Ritzen der Badezimmertür drang der Duft von Pinienextrakt. Livia lag in einer Wolke aus Schaum und hielt die Augen geschlossen. Sie schrak zusammen, als sich plötzlich die Tür öffnete und Marlen den Kopf hereinsteckte.
» Ciao, bellezza. Darf ich reinkommen?«
Livia nickte. »Klar.«
Marlen setzte sich auf den Klodeckel. »Wie war’s bei dir?«
»Vor allem langwierig«, sagte Livia. »Ich bin erst vor einer halben Stunde nach Hause gekommen. Der Pfarrer war völlig aus dem Häuschen. Zum Schluß hat er auch noch angefangen, jedes gestohlene Objekt einzeln aufzuzeichnen, mit Bleistift auf Papier, damit wir alles ja wiederfinden.« Sie kicherte. »Wie ein Fahndungsbild, allerdings nicht von den mutmaßlichen Tätern, sondern von dem, was ihnen zum Opfer fiel.« Sie drehte den Heißwasserhahn auf.
»Das könnte doch bestimmt noch mal nützlich werden«, sagte Marlen. »Und, wie stehen die Chancen?«
»Daß die Sachen wiedergefunden werden?« Livia schürzte die Lippen. »Eins zu tausend vielleicht. Selbst bei größeren Funden, wie vor kurzem in der Nähe von Siena, ist es offenbar kaum möglich, mit Sicherheit zu sagen, woher ein Kerzenleuchter oder ein Kruzifix wirklich stammt. Bei Marmorengeln ist es einfacher, und am leichtesten lassen sich Gemälde zuordnen. Der ganze liturgische Kleinkram aber nur dann, wenn wirklich wertvolle Stücke darunter sind, von denen es Fotos gibt …«
Sie drehte den Hahn wieder zu. Die Schaumbläschen lösten sich nach und nach unter geheimnisvollem Knistern auf.
»Und was passiert dann damit?«
»Mit dem Kleinkram? Wird verkauft, auf Flohmärkten, an Antiquitätenhändler, kommt darauf an, wie gut erhalten so ein Hostienbehälter oder Kerzenleuchter ist. Und natürlich auch darauf, wie gut die Diebe sich auskennen, was für Verbindungen sie haben, für wen sie arbeiten. Moment mal.«
Livia kniff die Augen zusammen, tauchte den Kopf unter Wasser. Den ganzen Nachmittag lang hatte sie Stück für Stück alles dokumentiert – Fotos plus kurze qualitative Beschreibung – was sich in der Kirche noch dokumentieren ließ, eine Inventarliste erstellt, auch von den Objekten, die nicht gestohlen worden waren. Anschließend hatte sie gemeinsam mit dem Pfarrer Leute aus der Nachbarschaft besucht, weil er hoffte, daß auf einem der zig Fotos von Kommunionen und Hochzeiten im Hintergrund zufällig ein Weihrauchschiffchen, ein Hostienbehälter oder das gestohlene Madonnenbildnis abgebildet sein könnten. Abwegig erscheinende Gedanken führten oft schneller zum Ziel oder, wie der Pfarrer freudig gesagt hatte, die Wege des Herrn sind unergründlich – in der Tat waren sie in einem Fotoalbum fündig geworden. Das gestohlene Bild, die »Madonna delle Grazie« von Giacomo Farelli, war zum illustrativen Hintergrund eines Hochzeitsfotos auserkoren worden, als Vorankündigung sozusagen: ein feistes Jesuslein, das sich energisch an die unter Tüchern hervorquellende Marienbrust heranmacht, während die dazugehörige Mutter ergeben bis abweisend, jedenfalls
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