Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
herauszufinden.
Die Signora Cacciapuoti hatte zu Marlens Erstaunen keine Einwände gegen ein Interview gehabt. Livia und Marlen hielten hinter dem sagenumwobenen Palazzo Donn’Anna und überprüften die Hausnummern. Dort standen wie im Windschatten des alten Gebäudes, dessen Mauern vom Wasser umspült wurden, eine Reihe mehrstöckiger Appartmenthäuser, deren Dächer sich auf gleicher Höhe mit der Straße befanden. Hausnummer 56 bis 60. Das Haus der Cacciapuoti, dessen Eingang sich auf der Höhe der Via Posillipo 98 befand, mußte demnach ein Stück weiter vorn liegen, wo die Halbinsel von Posillipo breiter und exklusiver wurde.
Marlen und Livia stellten die Vespa vor einer Reihe von Geschäften gegenüber vom Palazzo Donn’Anna ab und gingen zu Fuß weiter. Rechts führte die Straße jetzt direkt an den Tuffhängen entlang, linkerhand waren hinter Steinmauern und Dauer grün gepflegte Gärten und Villen zu erahnen, hinter denen in ungefähr hundert Metern Entfernung das Meer glitzerte. Eine Schulfreundin von Livia hatte einen Architekten geheiratet, dessen Eltern dort wohnten – on the sunny side of the street . Nach dem Kirchgang hatte es in diesem riesigen Haus einen Empfang gegeben, alles nur vom Feinsten, mit Hummer und Champagner. Sehr zum Erstaunen Livias befand sich die Nummer 98, der Eingang zu dem Haus, das Fiorilla Cacciapuoti nun allein bewohnte, jedoch nicht auf der dem Meer zugewandten linken Seite der Via Posillipo, sondern auf der rechten – eine unscheinbare Gittertür mit Gegensprechanlage. Wohin sollte das führen? In ein Bergwerk? Marlen klingelte, die Gittertür öffnete sich, automatisch schaltete sich die Beleuchtung ein, sie betraten eine großzügige Garage, die in den Tuffhang gebaut war.
Links stand ein dunkelblauer Alfa Romeo, weiter hinten eine mit einer Plane bedeckte Vespa. Rechterhand war ein alter Fahrstuhl aus den vierziger Jahren. Die Frauen betraten ihn und drückten auf den einzigen Knopf. Die holzverkleideten Türen des Fahrkorbs schlossen sich, das Gefährt setzte sich mit einem abrupten Ruck in Bewegung, rumpelte abwärts. Dann blieb es mit einem erneuten Ruck stehen, die Türen öffneten sich klappernd. Es roch scharf nach Putzmitteln, zugleich aber auch muffig. Vor den Frauen erstreckte sich ein langer, gut beleuchteter Gang. Schwer abzuschätzen, wieviel Meter sie mit dem Fahrstuhl erdeinwärts gerattert waren. In jedem Fall aber befanden sie sich ein ganzes Stück unterhalb der Erdoberfläche und gingen, soweit die Orientierung noch stimmte, in Richtung Meer. Es war naheliegend, daß Livia und Marlen sich an die Gänge unter der Stadt erinnert fühlten. Mit dem Unterschied, daß dieser Gang bereits erobert und kultiviert war: weiß getüncht, marmorgefliest, die Schritte hallten. Alle paar Meter ein Bild an der Wand, kleinformatige Landschaftsveduten und Porträts, 19. Jahrhundert, Schule von Posillipo, wie Livia fachkundig feststellte, keine Billigware.
Nach etwa hundert Metern kamen sie zu einer weiteren Gittertür. Cacciapuoti stand auf einem schlichten Messingschild. Marlen betätigte den Klingelknopf, Livia schaltete den Walkman in der Tasche ihres Jacketts ein. Die Tür öffnete sich von selbst und dahinter eine weitere, letzte Tür. In ihr erschien eine große, kurzhaarige Gestalt in einem schwarzen Hosenanzug. Livia mußte an die Tabakfrau denken und daran, daß Schwarz nicht unbedingt nur eine Farbe für Trauernde und Theaterregisseure sein mußte.
Die Witwe von Umberto Cacciapuoti bat sie herein und forderte sie auf, abzulegen. Livia verzichtete, Marlen sah zu, wie ihre Lederjacke in einem Garderobenschrank verschwand. Fiorilla Cacciapuoti war eine aparte Frau zwischen 35 und 45 mit kurz geschnittenem, sehr dunklem Haar, dunklen Augen. Sie war mindestens 1,80 m groß, also eine Handbreit größer als ihr Mann.
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie uns empfangen haben«, hob Marlen an, »so kurz nach…«
Signora Cacciapuoti winkte ab, als wollte sie den Satz zurück in seine Ecke scheuchen. »Keine Beileidsbekundungen, bitte«, sagte sie mit rauchiger Stimme und strich sich nervös eine nicht vorhandene Strähne aus dem Gesicht. Während sie durch einen geräumigen Flur, von dem mehrere Türen abgingen, in den Salotto traten, äußerte Livia sich bewundernd zum extravaganten unterirdischen Eingang.
»Das ist nichts Besonderes«, sagte die Witwe. »Viele Häuser hier unten am Wasser verfügen über einen solchen Zugang. Ehemalige
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