Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
»atlantischen Brise« für die Tabakfrau.
»Sehr wohl, signora , selbstverständlich, signora .« Der Mann verzog dabei keine Miene.
Beim Bezahlen äußerte Marlen, sie sei doch sehr erstaunt darüber, daß das Geschäft überhaupt geöffnet habe, nach dem tragischen Tod des Signor Cacciapuoti.
Der kleine, dicke Mann im dunklen Anzug sah sie ausdruckslos an. Einen Moment dachte sie, er sehe aus wie ein Angestellter eines Beerdigungsinstituts, seriös, pietätvoll, unpersönlich, diskret.
»Das Leben geht weiter«, sagte er tonlos, was vielleicht seine Trauer zum Ausdruck bringen sollte. »Signor Cacciapuoti…«
»Ich dachte, bei solch einem Trauerfall sei der Laden geschlossen«, insistierte Marlen ungerührt.
»Selbstverständlich«, sagte der Mann. »Signor Cacciapuoti hätte es nicht anders gewollt. Es ist ganz in seinem Sinne.«
Er wechselte das Thema: »Ich habe Sie bisher noch nie als unsere Kundin begrüßen dürfen: wie ist der werte Name?«
»Malaparte«, sagte Marlen und fügte hinzu: »Ich bin Journalistin. Vielleicht könnten Sie mir sagen, ob es hier in Neapel große Konkurrenz…«
»Bedaure«, sagte der Mann tonlos. »Keine Auskünfte.« Er ging zur Ladentür und hielt sie Marlen auf. Dann setzte er ein Kundenlächeln auf, das ihn ebenso wie der eiskalte Tonfall vom Angestellten eines Beerdigungsinstituts unterschied: »Wenn ich Sie bei anderer Gelegenheit wieder bei uns begrüßen darf… Buon giorno, signora .«
»Glauben Sie, daß es eine seiner Geliebten war?« sagte Marlen provokativ im Vorübergehen.
Als Antwort fiel die Tür hinter ihr zu.
Sie zuckte die Achseln, schlenderte aber trotz dieses brüsken Rauswurfs beschwingt zurück in Richtung Via Chiaia, was wohl auf den Wein zurückzuführen war. Gut, sie hatte das Gespräch falsch angepackt. Wenn sie ehrlich war, hatte sie es überhaupt nicht angepackt. Hatte sich keine Strategie überlegt und noch dazu am hellichten Vormittag nicht gerade wenig Wein probiert. Was soll man da machen, dachte sie. Manchmal fand man keinen Zugang zu einer Situation, zu einem Menschen, konnte reden und reden, ohne daß etwas dabei herauskam. An anderen Tagen klappte es auch ohne viele Worte. Und dann wieder gar nicht. Dann mußte eben Livia dort ihr Glück versuchen.
23
Gutgelaunt ging Marlen durch die Galleria Umberto I., in der vormittags vor allem ältere Männer standen und palaverten, zur Piazza Municipio, dann weiter zur Piazza Borsa. Das Giornale di Napoli hatte seine Büros in einer der Seitenstraßen, die zur Marina führten: ein eierschalenfarbener Klotz aus Beton mit Schmutzspuren im Gesicht, der sich zwischen den jahrhundertealten Häusern ausnahm wie ein Kuckucksei. Der Portier kündigte sie in der Redaktion an, Marlen solle warten, Signor Limoncelli würde gleich herunterkommen.
Sie gingen in eine Bar an der Piazza Borsa. Giorgio Limoncelli bestellte einen Martini, Marlen einen Espresso und ein Mineralwasser. Wenn ihr Gespräch mit dem Journalisten nicht ähnlich erfolglos verlaufen sollte wie die Begegnung mit dem Verkäufer im Weinladen, mußte sie den nicht einmal unangenehmen Alkoholschleier im Kopf, der zu unbedachten Fragen und übereilten Schlußfolgerungen führte, dringend loswerden.
Giorgio Limoncelli war Mitte bis Ende zwanzig, eloquent und sichtlich vom Leben unterfordert. Gleich in den ersten fünf Minuten ließ er durchblicken, daß er zu Höherem geboren war als dem Lokalseitentratsch über Fünflingsgeburten, durchgetickte Ehemänner und kriminelle Kinder. Er hatte Politikwissenschaften, Anglistik und Germanistik studiert und war davon überzeugt, daß seine Zeit noch kommen würde.
Ein eindeutiger Fall von Selbstüberschätzung, dachte Marlen und war gespannt, ob sich dahinter mehr verbarg als ein Hohlraum aus überspannten Erwartungen an das Leben.
»Und bis dahin öle ich meine Gehirnwindungen und lauere auf den großen Coup. Und wenn ich ihn in der Hand habe«, er öffnete die Handfläche und blies eine imaginäre Feder weg, »dann heißt es: Addio mia bella Napoli! « Giorgio lachte zuversichtlich. »Wie sind Sie gerade auf mich gekommen?«
»Ich lese Zeitung«, sagte Marlen schlicht. »Sie schreiben über den Fall. Und ich habe, über die übliche Berichterstattung hinaus, ein, wie soll ich sagen, tiefergehendes Interesse aus Ihren Artikeln herausgelesen.«
Giorgio nickte geschmeichelt. Der Fall Cacciapuoti sei für ihn in der Tat einer dieser großen Coups. Er fragte Marlen, was sie als ausländische
Weitere Kostenlose Bücher