Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
nicht aufzutreiben.«
Seine Stimme senkte sich. Er war davon überzeugt, daß Umberto Cacciapuoti im Drogengeschäft mitgemischt habe, und zählte die verdächtigen Punkte an einer Hand auf: Mittelamerika, Cacciapuoti kommt problemlos an Marihuana und Haschisch heran, handelt nicht nur mit Kunsthandwerk, sondern, unter dem Tisch, auch mit leichten Drogen, steigt gemeinsam mit seinen Freunden tiefer ins Geschäft ein, bis er Geld erbt, das er in Weinläden investiert, die in Italien von vornherein zum Mißerfolg verurteilt sind und in Wirklichkeit nur der Tarnung dienen. Während Cacciapuoti selbst zum Mittelsmann für härtere Drogen avanciert, mit wem und wie sei noch unklar. Mit Sicherheit gab es Verbindungen nach Frankreich, England, vermutlich auch nach Deutschland. Und für sich selbst und für Freunde habe Umberto hin und wieder eine Prise abgezweigt, siehe Obduktion.
Eine beunruhigende These, fand Marlen. Es war verzwickt: einerseits war sie direkt froh darüber, daß Giorgio Salvatore noch nicht ausfindig gemacht hatte, andererseits hoffte sie ja gerade, mit Hilfe Giorgios etwas über Salvatores Verbleib zu erfahren.
»Haben Sie keine Angst?« fragte sie. Vor ein paar Jahren war ein Journalist von der Camorra ermordet worden, der es bei seinen Nachforschungen zu weit getrieben hatte.
Giorgio zuckte die Schultern. »Man muß etwas wagen, wenn man es zu etwas bringen will«, sagte er. Dann kniff er die Augen unmerklich zusammen. »Aber eins muß klar sein: Sie verfolgen Ihre Spur und ich meine.«
Sie nickte. »Ich bin lernfähig. Ognuno si fa i cazzi suoi .«
Zwei dampfende Teller wurden vor ihnen auf den Tisch gestellt. Marlen hatte Hunger. Auch Giorgio machte sich konzentriert über sein Pasta-Linsen-Gericht her. Ein alter, verwahrlost wirkender Mann setzte sich zu ihnen an den Tisch. Giorgio nickte ihm zu wie einem Bekannten und schenkte ihm ein Glas von ihrem Wein ein. Der alte Mann nickte, nahm einen großen Schluck und begann leise vor sich hin zu plappern.
»Zur Abwechslung mal ein kleiner Beitrag zu Ihrer Recherche«, sagte Giorgio und wischte mit einem Stück Weißbrot den Teller sauber.
»… läßt sich halb Neapel bei mir besohlen«, nuschelte der alte Mann mehr zu sich selbst oder zum Tisch gewandt, als zu Marlen und Giorgio, und biß in ein reichhaltig belegtes Sfilatino, das der Sohn von Signora Anna ihm gebracht hatte. »Zwei Frauen und drei meiner insgesamt acht Kinder hab ich nun schon überlebt und immer in dieser Straße gewohnt, Nummer elf, das könnt ihr mir glauben, ich erzähl euch keine Märchen, ich kann es beweisen, das ist keine Propaganda!« Seine Stimme wurde kurz lauter, dann versank sie wieder in einer gleichförmigen Litanei. Der Mann sprach starken Dialekt. Marlen mußte sich sehr konzentrieren, um ihm folgen zu können. »Auf die Piazza Borsa haben sie die Leute getrieben und von dort auf die Kreuzung Mezzocanone und Rettifilo, gleich hier um die Ecke, alle mußten sich hinknien, alle, sage ich, und klatschen, dann haben sie einen Matrosen angezündet und erschossen, ein junger Kerl so wie ihr, vor dem Eingang der Universität, und die Leute, Maschinenpistolen im Nacken, aber nicht im Bild: Hochrufe auf den Duce und den Führer…«
Er schluckte den Rest seines Brötchens hinunter und trank das soeben nachgefüllte Glas Rotwein in einem Zug leer. »Die Nazis haben Zigaretten und Lebensmittel verteilt, alles Plünderware, und das haben sie dann gefilmt, den Zigarettenregen, nicht das Feuer in den Häusern, das Feuer in meinem Basso, meine Frau und zwei meiner Töchter waren dabei, die können es bezeugen.« Er machte eine Pause und wiederholte dann: »bezeugen.«
Seine Erinnerung schien sich im Krieg verhakt zu haben, er kam nicht darüber hinaus – oder nicht darüber hinweg. Vielleicht hielt er Zwiesprache mit seinen verstorbenen Verwandten und Bekannten. Giorgio warf Marlen vielsagende Blicke zu und schenkte dem Alten Wein nach – auch eine Art, Leute zum Reden zu bringen, dachte Marlen.
»… das weiß heute ja gar keiner mehr, will auch keiner wissen, in Schutt und Asche gelegt haben sie die Stadt, was da alles draufging, die schönsten Hotels, das Excelsior , das Vesuvio , das Vittoria , Alfa Romeo in Pomigliano, kein Strom, kein Gas, kein Wasser, keine Verkehrsmittel – nichts, wir haben Meerwasser abgekocht und die Deutschen haben ihren Schwarzhandel organisiert, darin waren sie gut, im Organisieren, im Verkaufen von Diebesgut, dann auch noch die
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