Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Journalistin mit dieser Sache zu schaffen habe.
Mit der Frage hat Marlen gerechnet. Als ausländische Journalistin lief sie hierzulande zwar außer Konkurrenz, doch Giorgio wollte sichergehen, daß sie ihre – und dazu seine – Informationen nicht doch in irgendwelchen italienischen Blättern verwerten würde. Sie hatte ihn mit ihrem Interview mit Fiorilla Cacciapuoti geködert – nun galt es, sich in wohldosierten kleinen Happen an die Informationen des anderen heranzupirschen.
Sie antwortete, sie sei nach Neapel gekommen, um über zwei Dinge zu schreiben: die legendären quattro giornate di Napoli – er zog die Augenbrauen hoch – und die Gänge unter der Stadt. Sie habe eine Führung durch das unterirdische Neapel gemacht. Dann sei der Tote gefunden worden. Daß sie selbst den Toten als allererste entdeckt hatte, behielt sie vorerst für sich. »Sie haben geschrieben, daß unter der Erde viel mehr Tote liegen, als bisher bekannt wurde…«
»Naturgemäß«, grinste er lakonisch.
»Ich meinte eigentlich die unfreiwillig ins Totenreich Beförderten«, grinste sie zurück. »Glauben Sie wirklich, daß auch der Mord an Umberto Cacciapuoti dem organisierten Verbrechen zuzuschreiben ist?«
Typische Frage einer ausländischen Journalistin und ein guter Einstieg zugleich, weil keine direkte Antwort möglich war, ohne weitere Fragen und Begründungen heraufzubeschwören.
Giorgio lächelte nachsichtig und legte los. So leicht ließe sich die Frage natürlich nicht beantworten. Die Camorra könne nicht für alle Verbrechen verantwortlich gemacht werden. Dennoch, er habe da so seine Vermutungen.
»Im Mattino stand, Cacciapuoti war drogenabhängig.«
»Was nicht alles im Mattino steht«, grinste Giorgio. »In den Kreisen, in denen die Cacciapuoti verkehrten, gehört Kokain genauso zum Outfit wie eine Witwe.«
Marlen sah ihn verständnislos an.
»Eine Flasche Veuve Cliquot , kurz auch ›Witwe‹ genannt.«
Ein Insiderlächeln. »Doch befassen wir uns erst einmal mit der richtigen Witwe, dem Blümchen: Fiorilla…«
Marlen berichtete von dem Gespräch mit Fiorilla Cacciapuoti. Vom Gespräch, wohlgemerkt, nicht von Livias Ausflug in die privaten Gemächer des Ehepaars. Die Witwe habe alles unter Kontrolle, sogar die Trauer, es sei sehr schwer, hinter ihre Fassade zu blicken. Andererseits habe sie unumwunden zugegeben, daß ihr Mann am laufenden Band Affären hatte. Sie habe fast einen Tick zu cool gewirkt, zu selbstsicher und über den Dingen stehend. Sie fragte Giorgio, was er von Umbertos Frauengeschichten halte. Ob er eine der Betroffenen – oder Beglückten – habe auftreiben können? Und ob er in Betracht ziehe, daß Fiorilla selbst ihren Mann aus dem Weg geräumt haben könnte?
»Ein Eifersuchtsdrama?« Giorgio schüttelte energisch den Kopf. Zu alltäglich. Über so etwas schreibe er jeden Tag. Das interessiere ihn nicht.
»Weil sich damit nicht Karriere machen läßt?«
»Auch.« Er sagte, Karriere habe nichts mit guten oder schlechten Meinungen zu tun oder damit, ob jemand spurte oder nicht, sondern mit Machtinteressen. Mit der Frage, ob man zufällig auf die richtige Spur geriet. Sich nicht abwimmeln ließ. Und daß einem niemand in die Quere kam. Nein, er war davon überzeugt – mußte es letztlich sein, dachte Marlen –: um Eifersucht ging es hier nicht.
»Außerdem hat sie ein handfestes Alibi: zur fraglichen Zeit war sie bei einer Großtante von Umberto.«
Marlen sagte, sie habe den Eindruck gehabt, daß die Witwe das Frage- und Antwortspiel bereits dutzendfach durchgezogen habe, und war dann völlig überrascht gewesen zu hören, daß sie den einheimischen Journalisten bislang ein Interview verweigert hatte.
Giorgio nickte. Weder er noch sein Kollege vom Mattino waren an Fiorilla herangekommen. Die Witwe hatte alle Interviews kategorisch abgelehnt. »Vielleicht redet sie lieber mit Frauen.«
»Oder mit Deutschen«, sagte Marlen. »Wußten Sie, daß Fiorilla Deutsch spricht? Sie hat eine Zeitlang in München gelebt.«
Giorgio horchte interessiert auf. »In Deutschland? Sieh mal einer an.«
»Was denn?« fragte Marlen.
»Die Verbindung ins Ausland«, murmelte er. Sein aufgesetzter, gefallsüchtiger Gesichtsausdruck verflog. Er wurde ernst. »Wie wär’s mit einer kleinen Runde runter zum Hafen?«
Giorgio setzte sich mit großer Geste die Sonnenbrille auf und zahlte. Sie bogen in eine Nebenstraße ein und schwiegen eine Weile. Es schien auf einmal schwer, das Gespräch
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