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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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durch einen halbdunklen Korridor vor Marlen her. » Vuoi un caffè? « In der Küche saß ein weiterer Mann, Nickelbrille, kariertes Hemd, hinter einer Zeitung. Er sah kurz auf, grüßte, vertiefte sich dann wieder in seine Lektüre. Auf dem Tisch vor ihm stapelten sich Zeitungen und Zeitschriften. Marlen setzte sich auf einen der Stühle an den Tisch, während der Mann mit dem Zopf eine Zwölftassenkanne Espresso aufsetzte. Sie sah sich um. An der Küchendecke hing ein Kristalleuchter, dessen Glasteilchen leicht gelblich schimmerten, vermutlich vom hochgespritzten Fett. Das Geschirr stapelte sich in einer Plastikwanne. In der Luft hingen kalter und frischer Zigarettenrauch, ein Päckchen Tabak lag auf dem Tisch.
    »Zum ersten Mal hier?« fragte der Mann mit dem Zopf, der sich jedoch nicht umdrehte und ihr Nicken daher nicht sehen konnte.
    »Ja«, sagte Marlen. »Eine große Wohnung, oder?«
    »Elf Zimmer.«
    »Und wie viele Leute wohnen hier?«
    »Vier. Eduardo«, er zeigte auf den Mann hinter der Zeitung, der unmerklich nickte, »Dante, Omar und ich. Ich bin Enzo«, fügte er hinzu.
    Auf alles mögliche war Marlen gefaßt gewesen, aber nicht auf eine Männer-WG. Sie hatte wirklich Glück gehabt, daß Dante Carotenuto derjenige unter den vier Männern war, der im Telefonbuch stand.
    »Und was machen Sie hier?«
    »Ich bin Journalistin«, sagte Marlen.
    »He, Eduardo, hast du gehört? Hier will endlich jemand was über unseren großen, unsterblichen Dichter Dante schreiben. Unseren poeta dei vicoli . Den Dichter der Witwen und…« Der Rest ging im Zischen der Espressokanne unter.
    Marlen erkundigte sich, woher dieser Spitzname stamme. Enzo schenkte ihr und sich Espresso ein, warf eine Tüte mit Keksen auf den Tisch, langte hinein und begann, Kekse in den schwarzen Kaffee zu tunken, offenbar sein Frühstück. Er erklärte grinsend, für solch ein Image brauche man mindestens ein halbes Leben. Dante habe schon als Kind in Bars ausgeholfen, an Kreuzungen gestanden, Windschutzscheiben gesäubert, nachts an der Via Roma Zigaretten verkauft, ein typischer neapolitanischer Gassenjunge, der alle möglichen legalen und illegalen Jobs übernommen hatte, die schrägsten Vögel in den abgelegensten Ecken der Stadt kannte, Oberwelt wie Unterwelt, ein dichtes Netz an Kontakten, die das improvisierte Leben, das er führte, ohne richtigen Beruf, erst möglich machten. Und das Schreiben? Sein Lebenselixier. Er sitze jeden Tag dran, habe ein paar kleinere Bücher veröffentlicht, in neapolitanischen Verlagen. Gedichte, Kurzprosa. In der Szene sei er jedenfalls bekannt, brummte Eduardo hinter seiner Zeitung. Marlen fragte Enzo auf gut Glück, ob auch Salvatore öfter vorbeikomme.
    »Salvatore, der Retter der Frauen?« Er nickte, fügte aber hinzu, er habe ihn längere Zeit nicht gesehen. »Du, Eduardo?« Ein verneinendes Zungenschnalzen. »Ist vielleicht in Rom.«
    Marlen fragte, ob sie Umberto gekannt hätten.
    »Der Tote von unter der Erde? Sind Sie wegen dem hier? Was hat unser Dante damit zu tun?«
    Eduardo schaltete sich ein. »Die waren damals zusammen in Mittelamerika, da warst du noch nicht in Neapel«, sagte er. »Ist lange her.«
    »Hat er nie erwähnt.«
    »Alte Geschichten«, brummte Eduardo, raffte die Bücher zusammen und schickte sich an aufzustehen.
    Marlen wollte gerade nachhaken, als eine Stimme hinter ihr sagte: »Wer redet hier von alten Zeiten?« Der Mann, der in die Küche getreten war, mußte Dante sein: übernächtigt, Ringe unter den Augen, eingefallene Wangen, Stoppelbart. Marlen fand, man konnte ihm den Drogenabhängigen ohne weiteres abnehmen. Oder den Dichter der Gassen. Sie wollte gerade ihren Namen nennen, doch Enzo war schneller.
    Dante lächelte, wobei sich sein Gesicht völlig veränderte, wachsame, weiche Züge traten hervor, ein Funkeln in den Augen. »Habe die Ehre«, sagte er schmunzelnd, »In letzter Zeit reißen die Zeitungsleute sich ja geradezu um mich.« Er goß Espresso in eine Tasse, ging zum Fenster, warf einen Blick nach draußen, schlug dann vor, gemeinsam eine Runde durch die Altstadt zu drehen, bis zwölf habe er Zeit. Marlen war einverstanden, froh darüber, in Dante einen offensichtlich gesprächigen, noch dazu gut gelaunten poeta dei vicoli auf getan zu haben und keinen mürrischen, weltfremden Kauz, dem jedes Wort zu teuer war oder zu schwer wog.
    Vom Dichter Dante Carotenuto hatte Marlen keine einzige Zeile gelesen und würde in nächster Zukunft auch keine einzige Zeile über ihn

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