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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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diesen Teil der Recherchen auf dem Weg zur LAES erledigen.
    Zunächst schaute sie kurz bei der Tabakfrau vorbei, beinahe schon ein Ritual, eine freundschaftliche morgendliche Vergewisserung. Als Alibi nahm sie die alten Zeitungen mit, die sich im Lauf der letzten Tage angesammelt hatten. Eine Kundin verließ gerade den Laden.
    » Come sta ?«
    » Benissimo «, sagte die Tabakfrau mit ungewohntem Glanz in den Augen. Sie nahm Marlen am Arm und zog sie in den Hinterraum. »Trinken Sie ein Gläschen mit?« Ohne die Antwort abzuwarten, schenkte sie Marlen, die dankend, aber vergeblich abwehrte, ein Glas Prosecco ein. Sie erkundigte sich, ob die Tabakfrau Geburtstag habe.
    »Ich bin Löwe«, sagte die Tabakfrau mit gespielter Entrüstung.
    »Irgend etwas feiern Sie doch«, insistierte Marlen, die nicht glauben wollte, daß die Tabakfrau zur Trinkerin geworden sein sollte und jetzt morgens Alkoholisches statt Espresso anbot.
    Die Tabakfrau nickte. »Die hundert Kilo sind unterschritten«, verkündete sie freudig. »Es geht bergab! Oder bergauf, wie man’s nimmt.« Sie stellte ihr Glas auf dem ovalen Tisch auf einer klebrig aussehenden Plastiktischdecke ab. »Hier. Ich habe einen Atlas gekauft. Jetzt kann’s losgehen«, verkündete sie triumphierend.
    Das große Buch mit den nach unten aufgeschlagenen Seiten löste sich nur zögerlich von der Plastiktischdecke, wodurch eine Flasche Rotwein, die ebenfalls auf dem Tisch stand, bedenklich ins Taumeln geriet. Marlen warf automatisch einen Blick auf das Etikett, stellte erstaunt fest, daß es sich um französischen Rotwein handelte.
    Die Tabakfrau bemerkte ihren Blick. »Ganz richtig, cara «, sagte sie, »ich habe mich für Frankreich entschieden. Reisen«, fuhr sie fort, »für Sie ist das etwas völlig Normales, aber ich bin in meinem ganzen Leben nicht weiter gekommen als nach Kalabrien. Stellen Sie sich das nur einmal vor, wo Sie doch so viel herumgekommen sind in der Welt: Seit meiner Kindheit bin ich jeden Sommer vierzehn Tage nach Kalabrien gefahren, und als ich meinen Mann heiratete, ging das weiter so, nicht derselbe Ort, sondern zwei, drei Orte weiter südlich, als ob das einen großen Unterschied machen würde – gräßlich, was? Jedes Jahr dasselbe, immer dasselbe.« Sie schüttelte sich. »Damit ist jetzt Schluß.«
    Sie tippte mit dem Finger auf den Atlas: »Europa. Hier, Frankreich, Spanien, Griechenland, Türkei, Ungarn, Polen, Norwegen, Irland, Portugal, so viele Länder, die kann man sich doch nicht entgehen lassen! Wenn ich genug Geld hätte, würde ich eine Europareise machen«, fügte sie hinzu. »Mit Sicherheit würde Anna auf andere Gedanken kommen. In einer anderen Umgebung.«
    »Und wenn Sie den Laden verpachten«, sagte Marlen aufs Geratewohl, biß sich dann auf die Zunge. Die Idee war dämlich, die Tabakfrau verdiente mit dem Laden vermutlich gerade eben genug, um tagtäglich über die Runden zu kommen.
    Die Tabakfrau fand den Vorschlag jedoch gar nicht so abwegig, was möglicherweise auf den Prosecco zurückzuführen war. »Manchmal ist so etwas leichter, als man denkt«, sagte sie beschwingt. »Sehen Sie, hier: von Neapel nach Südfrankreich, eine Daumenlänge.« Sie spitzte die Lippen, zog die Augenbrauen hoch, neigte den Kopf und lächelte in die Landkarte hinein. Ihr Zeigefinger wanderte zur Atlantikküste. »Ich will ans Meer, ans richtige Meer, nicht in diese spiegelglatte, lauwarme Mittelmeerbrühe, wo wir Frauen uns die Beine in den Bauch stehen wie auf dem Markt, nur daß es unten naß ist und von oben die Sonne knallt, wo einem Plastiktüten um die Waden schwappen und die Strände so überfüllt sind wie das Fußballstadion an guten Tagen. Nein, nein, ich will einen richtigen Ozean, einen mit Wellen und kilometerlangen Sandstränden, mit Überseedampfern und Hochseefischern und einer anderen Sprache meinetwegen auch.« Sie ging zum Regal und zog einen dünnen Stapel Zeitungsausschnitte hervor. »Sehen Sie, hier, ich habe schon fleißig gesammelt. Reiseberichte. Tourismustips. Angebote für Ferienhäuser, Campingplätze, Pauschalflüge. Aber wir fahren mit der Bahn.« Sie begann, von Südwestfrankreich zu schwärmen, ohne je dort gewesen zu sein, und Marlen ließ sich von ihrer Begeisterung anstecken.

30
    »Komm rein. Dante steht noch unter der Dusche.« Ein Mann mit Zigarette im Mundwinkel, hoher Stirn und spärlichen, langen Haaren, die im Nacken mit einem Gummiband zusammengehalten wurden, hatte die Tür geöffnet und schlurfte nun

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